Sakramentalien (4. Teil)

2. Kerzenweihe

a) Wenn man einen katholischen Priester fragen sollte, welche Gegenstände ihm von den Gläubigen am häufigsten zur Weihe vorgelegt worden sind, dann wird wohl ein jeder sofort und ohne einen jeglichen Zweifel zur Antwort geben: die Kerzen! Dies hängt sicherlich nicht allein damit zusammen, dass die Kerzen ja abbrennen, wenn man sie anzündet, sondern auch, dass sie sowohl in der Kirche als auch in den Privathäusern der Gläubigen häufig Verwendung finden.
So zündet man eine geweihte Kerze an, wenn man sich entweder in der Kirche oder Kapelle oder auch zu Hause vor allem zum gemeinsamen Gebet zusammenfindet. Bei jeder hl. Messe haben wenigstens zwei Kerzen auf dem Altar zu brennen; dieselben zündet man auch bei einer jeden weiteren gottesdienstlichen Zeremonie oder Sakramentenspendung an. Ebenfalls brennen sie am Krankenbett, wenn einem kranken Glied der Kirche die hl. Kommunion gereicht oder einem Sterbenden die Letzte Ölung gespendet wird.
Die Eignung der Kerze für diese Zwecke ist wohl dadurch zu erklären, dass sie in sich einige Eigenschaften beinhaltet, die stark die erhabene und gnadenhafte Beziehung des Menschen zu Gott symbolisch zum Ausdruck bringt. Erstens muss die Kerze sozusagen von außen angezündet werden, denn sonst bleibt sie hart und kalt und ohne Leben - so sieht es nämlich im Herzen eines Menschen aus, der Gott nicht gefunden hat und sich in der Finsternis und Kälte der Gottesferne befindet.
Zweitens muss die Kerze wenigstens eine kurze Weile von jenem anderen Feuer angewärmt werden, damit sie in der Folge auch selbst Feuer fangen und brennen kann. So werden auch wir von der Glut der alles überwältigenden Gnade Christi bestrahlt, die erst ermöglicht, dass auch wir vom göttlichen Feuer grundsätzlich empfangen und in uns aufnehmen können. Und soll die Kerze dann auch noch selbstständig brennen, muss ihr Wachs ferner unbedingt warm und weich werden! So muss auch ein Mensch in jedem Fall sein Herz von der Güte Gottes erwärmen und nach Seinem heiligen Willen formen lassen - die Annahme der inneren Gesinnung und die Erfüllung des Willens Gottes ist eine unabdingbare Bedingung für die Teilnahme am neuen Leben mit Gott! Nur so kann dann die Kerze unseres Glaubens anfangen, in gewisser Hinsicht selbstständig zu brennen und somit selbst Feuer zu werden.
Aber wenn dann die Kerze brennt, brennt sie zwar eigenständig. Aber sie brennt nur deswegen „in gewisser Hinsicht selbstständig“, weil sie ihr Feuer nicht selbst hervorgerufen, sondern es in sich von außerhalb aufgenommen hat. An diesem Beispiel kann man anschaulich das „intime“ Verhältnis zwischen dem Wirken der Gnade Gottes auf der einen und der eigenständigen Zustimmung des freien Willens des Menschen auf der anderen Seite erkennen: der Mensch ist immer auf die Gnade Gottes angewiesen, die für ihn in jedem Fall ein freies Geschenk der göttlichen Güte und Barmherzigkeit bleibt; aber er muss dann auch unbedingt seine eigene Aktivität entwickeln, damit diese Gnade in ihm überhaupt wirken und entsprechende Früchte hervorbringen kann; dennoch ist er nur deswegen zu solchen Handlungen seiner Willenssetzung fähig, weil er ohne das zuvorkommende Gnadengeschenk Gottes praktisch zu nichts imstande ist (vgl. Joh 15,5)!
Und wenn die Kerze brennt, spendet sie sowohl Licht als auch ein gewisses Maß an Wärme! Zwar könnte man meinen, dass dies ja nur im geringen Umfang geschehe und somit unbedeutend wäre. Aber setzt man als Ausgangspunkt der Betrachtung die gänzliche Dunkelheit voraus, ermöglicht schon eine einzige brennende Kerze überhaupt Sicht und Orientierung (wenn auch „nur“ in der nächsten Umgebung)! So kann auch eine einzige gläubige und Gott aufrichtig liebende Seele schon durch scheinbare „Kleinigkeiten“ ein so genanntes „Wunder vollbringen“, indem sie z.B. die Gerechtigkeit, Güte und das Erbarmen Gottes widerspiegelt und an die sie umgebenden Menschen weiterleitet. Denn bei Gott zählt nicht der Grad des äußeren Aufsehens, welchen eine Tat hervorruft, sondern die Ehrlichkeit und Lauterkeit der inneren Absicht des betreffenden Menschen, die Motivation, mit welcher er diese Tat begeht.
Und wie ja die Helligkeit des Lichtes einer Kerze ebenfalls von der Reinheit des betreffenden Wachses abhängt, so entscheidet die Frage nach der Absicht einer Tat des Menschen auch über die Intensität und das geistige Ausmaß seines „Leuchtens“ in den Augen Gottes. Je edler und uneigennütziger die betreffende Absicht des Menschen, desto heller und klarer seine Flamme - nicht nur leitet er mehr an göttlichem Licht an die Mitmenschen weiter, sondern ist auch selbst umso tiefer von dieser erhabenen Glut innerlich erfüllt!
b) Diese allgemeinen Erörterungen mögen nun als eine Art allgemeine Einleitung zum besseren Verständnis des liturgischen Textes der Kerzenweihe dienen. Begonnen wird diese mit der Bekreuzigung des Priesters und der gleichzeitigen frommen Gebetsformel: „Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn“, worauf die Antwort des anwesenden Ministranten folgt: „Der Himmel und Erde erschaffen hat“. Der Priester stützt sich somit bei dieser Segnungshandlung (und in der Regel auch bei allen anderen Segnungen) ausdrücklich auf die Hilfe des allmächtigen Gottes und ruft sie gewissermaßen auf sich und seine segnenden Hände herab. Denn letztendlich segnet ja nicht er, sondern Jesus Christus durch ihn.
Dann: „Der Herr sei mit euch - Und mit deinem Geiste. Lasset uns beten. Herr Jesus Christus, Sohn des lebendigen Gottes, segne ✠ diese Kerzen auf unser demütiges Flehen hin: Herr, flöße ihnen durch die Kraft des heiligen ✠ Kreuzes himmlischen Segen ein, der Du sie ja dem Menschengeschlecht gegeben hast, das Dunkel zu vertreiben; solchen Segen mögen sie durch das Zeichen des heiligen ✠ Kreuzes empfangen, damit an jedem Ort, wo man sie anzündet und aufstellt, die Fürsten der Finsternis weichen und erzittern und mit allen ihren Dienern furchtsam die Flucht aus jenen Wohnungen ergreifen mögen, und nicht mehr wagen, deine Diener, die Dir, dem allmächtigen Gott, dienen, zu beunruhigen und zu belästigen: der Du lebst und herrschest von Ewigkeit zu Ewigkeit. - Amen.“ Danach werden diese Kerzen mit Weihwasser besprengt.
Die Kerzen werden gesegnet, damit sie in sich den „himmlischen Segen“ aufnehmen, um dann in unserer Mitte „das Dunkel“ der Gottesferne „zu vertreiben“. So mögen sie „Kraft des heiligen Kreuzes“ bzw. „durch das Zeichen des heiligen Kreuzes“ göttlichen Segen empfangen und „die Fürsten der Finsternis“, die bösen Geister, die Gott nicht dienen wollen, allerorten - aus jeder Wohnung und aus jedem Haus -, wo diese geweihten Kerzen nämlich aufgestellt und angezündet werden, in die Flucht schlagen.
Zwar soll man nicht Kerzen - nach sektiererischer Denkweise! - massenweise horten, weil man etwa abergläubisch meinen würde, nur sie könnten uns am Letzten Tag (an den so genannten „drei dunklen Tagen“) vor dem Strafgericht Gottes retten. Aber dennoch darf man nicht verkennen, dass eine geweihte Kerze kraft ihrer Segnung durch einen katholischen Priester (siehe Weiheformular) wohl doch eine Art exorzisierenden Charakter besitzt (zumal sie ja auch mit Weihwasser in Berührung kommt!) und somit imstande ist mitzuhelfen, dass in den Räumen, wo sie angezündet wird, die Diener der Unterwelt die Flucht ergreifen (müssen) ... und daraufhin in unseren Seelen auch der wahre Friede Gottes Einzug hält, der eine jede innere Beunruhigung und geistige Belästigung, die von der Sünde herrührt, überwindet. Somit erfreuen sich geweihte Kerzen völlig zurecht einer großen Popularität im gläubigen Volk - sie sollten in der Tat in keinem katholischen Haus fehlen.
Zugleich wollen wir auch nicht vergessen, dass solche Kerzen uns letztendlich nur dann mit ihrem segenspendenden Licht erreichen können, wenn in unseren Herzen die Flamme des festen Glaubens, der lebendigen Hoffnung und der wahren christlichen Liebe fest lodert! Christus ist „das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wandelt nicht im Finstern, sondern wird das Licht des Lebens haben“ (vgl. Joh 8,12). So wollen auch wir an diesem „Licht“ teilhaben, es in uns aufnehmen, damit wir dann auch dem folgenden Auftrag unseres göttlichen Erlösers entsprechen können: „So leuchte euer Licht vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen“ (Mt 5,16)!

P. Eugen Rissling

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