Marienverehrung biblisch?


Stellt man einem Nicht-Katholiken, der sich wenigstens ein bisschen im Katholizismus auskennt, die Frage nach markanten Merkmalen des katholischen Glaubens, wird er mit großer Wahrscheinlichkeit unter anderem wohl auch auf das Faktum der besonderen Marienverehrung innerhalb der katholischen Kirche verweisen. Auch wenn das Wissen darum vielleicht nur vom Umstand der Ablehnung der katholischerseits gepflegten Verehrung Mariens seitens der Protestanten herrühren sollte. 

Und auch tatsächlich spielt die Marienfrömmigkeit eine große und nicht wegzudenkende Rolle im Glaubensgebäude der katholischen Kirche. Wir gedenken mit besonderem Respekt ihrer allumfassenden Jungfräulichkeit (vor, während und nach der Geburt Jesu), ihrer Gottesmutterschaft, ihrer Unbefleckten Empfängnis, ihres Mitleidens mit Christus, ihrer Himmelfahrt usw. Würde man diese Marienverehrung aus den Herzen der Katholiken und aus dem Glaubensleben der Kirche ausmerzen, würde man den katholischen Glauben nachhaltig verändern bzw. sogar revolutionieren! Nun bekommt man aber bisweilen besonders seitens der Protestanten den Einwand zu hören, die von der katholischen Kirche gepflegte Marienverehrung sei nicht statthaft, ja sogar wahrheitsverdrehend, weil sie sich nicht mit der Heiligen Schrift belegen lasse und somit unbiblisch sei. 

Als (vermeintlicher) Beweis dafür wird gern jene Stelle aus dem Matthäusevangelium angeführt, in der es um die sogenannte wahre Familie Jesu geht: „Während Er noch zu den Volksscharen redete, da standen Seine Mutter und Seine Brüder (Verwandte - Anm. der Red.) draußen und wollten Ihn sprechen. Jemand sagte zu Ihm: ´Siehe, Deine Mutter und Deine Brüder stehen draußen und wünschen Dich zu sprechen.´ Er aber erwiderte dem, der es Ihm sagte: ´Wer ist Meine Mutter, und wer sind Meine Brüder?´ Dann streckte Er die Hand über Seine Jünger aus und sagte: ´Da sind Meine Mutter und Meine Brüder! Denn wer den Willen Meines Vaters im Himmel tut, der ist Mir Bruder, Schwester und Mutter“ (Mt 12,46-50). 

Indem sich also Jesus hier Maria gegenüber ziemlich reserviert verhalten habe, habe Er es in aller Deutlichkeit abgelehnt, ihr eine privilegierte Stellung einzuräumen. Also sei die Marienfrömmigkeit nichts anderes als eine katholische Erfindung und komme ganz klar einer Verdrehung der Wahrheit Christi gleich. So das gängige Argument der Protestanten. Nun, wenn man einen biblischen Text analysieren will, dann darf man nicht unterlassen, auch seinen historischen Kontext zu berücksichtigen. Denn sonst läuft man leicht Gefahr, einer Fehlinterpretation zu erliegen. Und den Hintergrund unserer biblischen Stelle hier bildet der übertriebene Heilsoptimismus, ja die Vermessenheit der Juden zur Zeit Jesu. 

Natürlich waren sie das auserwählte Volk des Alten Bundes: Gott hat sie (seit Abraham, Isaak und Jakob) aus allen anderen Völkern erwählt, sie gehegt, gepflegt und in so mancher Gefahr und Bedrängnis beschützt und geführt. Auch haben sie Gottes Verheißungen erhalten, auf dass sie auch in der Zukunft mit Seinem Beistand rechnen könnten. 

Aber Israel hat vergessen, dass diese Erwählung ihm nicht zum Selbstzweck gegeben wurde, damit es sich selbst etwa verherrliche und zum Mittelpunkt des Weltgeschehens mache. Statt sich fortwährend auf seine hohe Sendung zu besinnen, Gott zu dienen, allen Völkern Seine Großtaten und Erbarmungen zu verkünden und sie auf den kommenden Erlöser vorzubereiten, hat Israel den entscheidenden Fehler begangen, sich selbst in arroganter Weise über die anderen Völker zu erheben und dem Wahn der vermeintlichen eigenen Überlegenheit allen anderen gegenüber zu erliegen! Und weil man sich für etwas ganz Besonderes und Privilegiertes hielt, ging man mit Menschen anderer Volkszugehörigkeiten entsprechend verächtlich um. Von dieser in Augen stechenden Überheblichkeit zeugt z.B. die Äußerung der Samariterin, als sie sich am Jakobsbrunnen wunderte, dass Jesus sie dort überhaupt ansprach: „Wie? Du, ein Jude, bittest mich, eine Samariterin, um einen Trunk? - Die Juden haben nämlich keinen Verkehr mit den Samaritern“ (Joh 4,9). Da es Israel mehr um seinen eigenen Ruhm ging statt um die Ehre Gottes, konnten unter sogenannten „frommen“ Juden die folgenschweren irrtümlichen Auffassungen entstehen, ein Israelit könne durch nichts auf der Welt seine privilegierte Stellung bei Gott verlieren, allein die biologische Zugehörigkeit zum jüdischen Volk garantiere unter allen Umständen das Verbleiben in der Gunst Gottes! 

Schon Johannes der Täufer prangerte diese Fehlhaltung seiner Volksgenossen an. Als sie zu ihm an den Jordan kamen, richtete er an sie die folgenden schweren Worte: „Wähnt nicht, bei euch sagen zu dürfen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann aus diesen Steinen da Kinder für Abraham erwecken“ (Mt 3,9). Und er verwies darauf, dass es vor allem auf eine entsprechende Lebensführung ankommt: „So bringt denn Frucht, die der Bekehrung würdig ist“ (Mt 3,8)! Und wenn Jesus in Mt 12,46-50 nicht auf den Wunsch Mariens einging, Ihn zu sprechen, dann tat Er dies, weil Er ebenfalls in aller Deutlichkeit der bereits geschilderten Arroganz, Vermessenheit und trügerischen Heilssicherheit vieler Seiner jüdischen Zeitgenossen entgegenwirken und mit allem Nachdruck betonen wollte, dass in der göttlichen Ordnung die Frage nach der biologischen Abstammung oder den familiären Banden nicht im geringsten ausschlaggebend ist für die Feststellung, ob und in welchem Umfang jemand in der Gunst Gottes steht! Auch wollte Er damit vermeiden, dass Mariens Stellung in der Heilsordnung Gottes von den anwesenden Israeliten fälschlicherweise ausschließlich durch ihre biologische Mutterschaft zu Jesus definiert werde. 

Nein, Jesus gibt an dieser Stelle zugleich ein anderes Kriterium an, nach welchem ein Mensch gleich welcher Volkszugehörigkeit oder Hauptfarbe in seinem Verhältnis zu Gott beurteilt wird. Das, worauf es letztendlich ankommt, ist der Glaube des betreffenden Menschen, der hier definiert wird als die entschiedene (kommt von „Entscheidung“) Bereitschaft, den Willen Gottes zu erfüllen: „Denn wer den Willen Meines Vaters im Himmel tut, der ist Mir Bruder, Schwester und Mutter“ (Mt 12,50)! Nur indem der Mensch Herrgott`s heiligen Willen beherzigt und im Maße seiner Möglichkeiten vollbringt, gewinnt er Seine Gunst und erfreut sich Seiner Gemeinschaft. Die Frage nach der biologische Zugehörigkeit zum jüdischen Volk ist hier völlig irrelevant! 

Und betrachten wir in diesem Zusammenhang das Leben der allerseligsten Jungfrau Maria und fragen wir uns, ob sie diesem hehren Glaubensideal entsprach. Als sie z.B. der Erzengel Gabriel aufsuchte und ihr offenbarte, dass sie von Gott auserkoren wurde, die Mutter des künftigen Erlösers, des Sohnes Gottes, zu werden, da fragte sie zunächst nach den näheren Umständen des Willens Gottes, weil sie ja Gott zuliebe das Gelübde der Jungfräulichkeit abgelegt habe: „Wie wird das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ (Lk 1,34) Und nachdem ihr der Erzengel erklärte, dass der Heilige Geist über sie kommen, und die Kraft des Allerhöchsten sie überschatten wird (vgl. Lk 1,35), willigte sie sofort in diesen Willen Gottes ein: „Siehe, ich bin eine Magd des Herrn; mir geschehe nach deinem Wort“ (Lk 1,38)! 

Dabei ist zu berücksichtigen, dass Maria trotz ihrer umfassenden Sündenfreiheit und Gnadenfülle („voll der Gnade, der Herr ist mit dir“), sich nicht im Besitz der Allwissenheit Gottes befand. Aber dieser Umstand gereicht ihr um so mehr zur Ehre, denn sie wusste ja in diesem Moment nicht, was für sie die Mutterschaft Christi im Einzelnen bedeuten würde. Sie konnte ja nicht viel abwägen oder kalkulieren, wie die Menschen üblicherweise gern vorher ihre Vor- oder Nachteile überblicken möchten. Nein, von ihr wurde eine sofortige Entscheidung verlangt. 

Und sie hat ein Ja gesprochen, wobei ihre einzige Stütze oder Sicherheit im Wissen bestand, dass das, was von ihr hier abverlangt, was ihr hier zugemutet wird, in der Entsprechung zum Willen Gottes steht. Damit hat sie inklusive auch allem jenen zugestimmt, was mit dieser Mutterschaft Gottes verknüpft ist. Bereits einige Wochen später erfuhr sie, dass sie auch der Ablehnung, des Spotts, Leids und Schmerzes, die auf ihren göttlichen Sohn warten, teilhaftig werden soll, als sie bei der Darstellung Jesu im Tempel vom greisen Simeon folgende prophetische Worte vernehmen sollte: „Siehe, Dieser ist bestimmt zum Fall und zur Auferstehung vieler in Israel und zum Zeichen des Widerspruchs. - Auch deine Seele wird ein Schwert durchdringen“ (Lk 2,34). Und auch tatsächlich bekam sie dieses Schwert zu spüren, als sie ihren Sohn Jesus Christus später heftigsten Widerspruch seitens der führenden Schicht des jüdischen Volkes erfahren und in der Folge den bitteren Leidenskelch bis zum schmachvollen Tod am Kreuz trinken sah. Und sie hat unter dem Kreuz ausgeharrt (vgl. Joh 19,25) - sie ist nicht wie die Apostel geflohen, die zwar vorher von ihrer Bereitschaft zum Mitsterben mit Christus lautstark gesprochen (vgl. Mt 26,33-35), aber bei der Gefangennahme Jesu dennoch kläglich versagt hatten (vgl. Mt 26,56). Nein, sie hat nicht viel darüber geredet, aber sie stand zu Jesus, der hier den ganzen Hass und die blinde Wut Seiner Gegner zu spüren bekam und unsägliche Schmerzen zum Heil des sündigen Menschengeschlechtes ertrug. 

Dabei darf nicht angenommen werden, Marias Ausharren unter dem Kreuz sei einzig und allein ihren mütterlichen Gefühlen zuzuschreiben, wie ja die Eltern oft zu ihren Kindern stehen, mögen diese noch so sehr angefeindet werden. Nein, die religiöse (und nicht die rein familiäre) Komponente spielt hier die entscheidende Rolle! Ihr Glaube an Jesus, der im Laufe ihres dreijahrzehntelangen Zusammenseins mit Ihm ständig angereichert wurde, hat sie dazu bewogen, zu Ihm als menschgewordenem Gott zu halten und Ihm in Treue zu dienen. Denn nicht umsonst heißt es im Evangelium, dass Maria alles in ihrem Herzen bewahrte und erwog, was ihr z.B. die Hirten bei der Geburt Christi über das von den Engeln über Jesus Gehörte erzählten (vgl. Lk 2,17-19). 

Wer hat also eine größere Bereitschaft erkennen lassen, dem Willen Gottes unbedingt Folge zu leisten, als Maria, die Seiner Stimme auch und gerade angesichts der an sie gestellten gewaltigen Erwartung auf der Stelle bedingungslos gehorchte? Wer hat denn ein stärkeres Vertrauen zu Gott und in Seine Führung an den Tag gelegt als diese Seine demütige Magd, die bei diesem unermesslichen Umfang des von ihr Geforderten allein auf Sein Wort baute? Wer war mehr bereit, sich Ihm voll und ganz zu überantworten, als jene Jungfrau, deren Treue zu Christus auch durch Sein Leiden und Tod nicht erschüttert wurde? Wer wollte denn schließlich so vermessen sein, dass er sich mit ihrer Glaubensstärke überhaupt messen wollte? 

Somit hat sie eindrucksvoll in ihrem Leben umgesetzt, was Christi Glaubensideal in Mt 12,46-50 von uns allen fordert: den Willen Gottes in seinem Leben zu befolgen und zu realisieren. Ihr Leben ist wie ein offenes Buch, das seit beinahe zweitausend Jahren Generationen von Gläubigen beredt praktisches Anschauungsbeispiel liefert, wie man an Gott glauben, Ihn lieben und Ihm in Treue dienen soll! Somit sind die Worte Christi an der genannten Stelle des Matthäusevangeliums keinesfalls als eine Verneinung oder Ablehnung der katholischen Marienfrömmigkeit zu werten, sondern im Gegenteil als ihre Rechtfertigung und Bestätigung anzusehen! Denn indem wir Maria im Hinblick auf die ihr von Gott geschenkten Gnadenvorzüge verehren, gedenken wir ja auch des göttlichen Urhebers und Gebers aller dieser Gnaden. Und indem sie von der Kirche wegen ihrer eigenen Tugenden und Leistungen verehrt wird, gilt dies ja uns auch als ein Ansporn, ihrem Lebensbeispiel folgend auch in unserem Leben entsprechende Fortschritte im Vertrauen auf Gott und in der Befolgung Seines Willens zu erzielen. 

Kann diese Art der katholischen Marienverehrung jemals als eine Sünde gegen Gott aufgefasst werden? Kann dies denn wirklich einer Verdunkelung der Wahrheit Christi gleichkommen, wie es der protestantische Einwand sehen will? Bewahrheitet sich denn hier nicht vielmehr der unter Katholiken verbreitete fromme Spruch: per Mariam ad Jesum - durch Maria zu Jesus?! 

“ Gerade in der heutigen Zeit, die voll ist an Hindernissen und Widerständen für einen Menschen, der die Treue zu Gott und somit auch zum überlieferten Glauben der katholischen Kirche halten will, ist es von besonderer Bedeutung, sich auf diesen Glaubensgeist der Muttergottes zu besinnen. Ist denn heute die Gefahr, zusammen mit der großen Masse dem Zeitgeist zu erliegen, nicht bedrohend angewachsen? Hat denn die Welle des Abfalls von Gott nicht auch tatsächlich viel zu viele Schichten unserer Gesellschaft erfasst? 

Lernen wir somit in der Schule Mariens, mehr auf Gottes Wahrheit als auf menschliches Vorteilsdenken bedacht zu sein, mehr Seinen Geist zu verinnerlichen als vergänglichen irdischen Werten nachzujagen, seinen Blick mehr auf die geistige Schönheit Gottes zu richten als sich fahrlässig vom Scheinglanz sündiger Versprechungen in die Irre führen zu lassen, mehr Gottes Ehre zu suchen als die leicht bröselige Anerkennung durch die Massen, mehr dem göttlichen Willen Vorzug einzuräumen als niederen menschlichen Begierden Raum zu geben... 

Besinnen wir uns dadurch vor allem darauf, was es heißt, Gott zu lieben, an Ihn zu glauben und Ihm mit der ganzen Hingabe seines eigenen Herzens zu dienen! Denn nur so werden wir die gegenwärtige harte Prüfungszeit überstehen, allen Einflüsterungen des Zeitgeistes, der klar im Gegensatz zu Gottesgeist steht, widerstehen und den heiligen Glauben bewahren können. Und nur so werden dann im Gefolge der Muttergottes auch wir im Rahmen des für uns Bestimmten Seine Gunst gewinnen und zu Seinen Auserwählten gehören können! 

 

P. Eugen Rissling

 

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