Maria wirklich Jungfrau?

Zu den Mysterien um das hochheilige Weihnachtsfest herum gehört natürlich neben dem Hauptereignis der Menschwerdung Gottes selbst an vorderster Stelle auch das Geheimnis der Jungfräulichkeit Mariens. So wird Maria auch und gerade wegen der Tatsache ihrer Jungfräulichkeit z.B. von den Kirchenvätern des christlichen Altertums in höchsten Tönen gelobt und gepriesen, wobei diese Jungfräulichkeit nach der Lehre der katholischen Kirche darin besteht, dass sie sowohl vor als auch während und nach der Empfängnis und der Geburt ihres göttlichen Kindes Jesus Jungfrau war bzw. geblieben ist.

Nachdem wir in der letzten Ausgabe der „Beiträge“ (Nr. 52, S.2-6) das Thema der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel behandelten, wollen wir uns heute der Frage nach ihrem Jungfrau-Sein zuwenden. Obwohl der Glaube an die Jungfräulichkeit Mariens von Anfang an zu den festen Bestandteilen der christlich-katholischen Offenbarungsreligion gehörte, wird dieses Glaubensdogma in der heutigen Zeit von vielen Protestanten und auch von nicht wenigen Angehörigen der so genannten Konzilskirche in Frage gestellt bzw. geleugnet, wobei es geradezu zu einem „Dogma“ der Modernisten gehört, die Jungfräulichkeit Mariens zu bestreiten. Ist nun Maria wirklich Jungfrau gewesen?
Zunächst lesen wir im Evangelium, dass Maria auf die ihr durch den Erzengel Gabriel vorgebrachte Ankündigung ihrer Mutterschaft des verheißenen Messias mit der praktisches Denken offenbarenden Frage reagierte: „Wie wird das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ (Lk 1,34). Der Begriff „erkennen“ bedeutet an analogen Stellen des Alten Testaments so viel wie „Beischlaf, eheliche Gemeinschaft haben“. Wenn also Maria diese Frage im Zusammenhang mit der Ankündigung ihrer Mutterschaft stellt, dann offenbart das ihren zuvor gefassten festen Entschluss, jungfräulich zu bleiben. So sieht es jedenfalls auch die gesamte kirchliche Tradition.

Und obwohl sie mit Josef verlobt war (Lk 1,27), wird sie zu derselben Zeit als „Jungfrau“ bezeichnet (Lk 1,26f.). Dann aber heißt es: „Josef aber, ihr Mann, war gerecht und wollte sie nicht bloßstellen, und so dachte er, sie still zu entlassen“ (Mt 1,19). Dieser Satz hat nur dann einen Sinn, wenn er so viel sagen will, als dass Josef auf der einen Seite die Schwangerschaft Mariens erkannte und sich zugleich dessen bewusst war, dass das sich in ihrem Schoß befindende Kind nicht von ihm (!) war; und auf der anderen Seite wegen der moralischen Integrität Mariens offensichtlich unter keinen Umständen annehmen konnte, ihr Kind sei bei einem Ehebruch bzw. bei einer Unzuchtshandlung gezeugt worden. Denn sonst wäre es Josefs Pflicht als gesetzestreuer Israelit gewesen, Maria wegen Ehebruchs anzuzeigen (wurde sie ja formal zu seiner Frau), was für sie äußerst schwerwiegende Konsequenzen bedeutet hätte.
Zwar wird ab dieser Zeit Maria als die „Gattin“ Josefs bezeichnet (vgl. Mt 1,20.25), aber dennoch wird im Evangelium einschränkend hinzugefügt: „Er (Josef) führte seine Gattin heim, doch ohne sie zu erkennen“ (Mt 1,25). Also haben Josef und Maria eine andere, besondere Art von Ehe geführt als es sonst üblich ist zwischen einem Mann und einer Frau.

Der Grund dafür aber, dass Maria formal zur gesetzlichen Ehefrau Josefs wurde, liegt offensichtlich darin, dass Maria sonst von ihrem zeitgenössischen Umfeld für eine Ehebrecherin und Jesus für ein illegitimes, aus dem Ehebruch geborenes Kind gehalten worden wäre. (Man bedenke dabei die katastrophalen Folgen dieser Einschätzung Seiner Person für Seine weitere Tätigkeit!) Außerdem wäre Maria als alleinstehende Frau bzw. als, wie man heute sagen würde, alleinerziehende Mutter in ihrem damaligen gesellschaftlichen Umfeld ziemlich recht- und schutzlos gewesen.

Bei der Beschreibung der Geburt Jesu wird im Matthäusevangelium auch der Verweis auf die Stelle bei Isaias 7,14 gemacht: „Dies alles ist geschehen, damit in Erfüllung gehe, was der Herr durch den Propheten gesprochen: ´Siehe, die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären. Und man wird ihm den Namen Emmanuel geben´, das heißt ´Gott mit uns´“ (Mt 1,22-24). Somit will der Evangelist sagen, dass Maria ihr Kind eben als Jungfrau empfangen (und geboren - siehe Mt 1,25) hat, also ohne die Beteiligung Josefs oder irgendeines anderen Mannes!

Im 7. Kapitel bei Isaias wird nämlich ausgeführt, wie der König Achaz von Juda sich geweigert hatte, der Aufforderung Gottes folgend sich „ein Zeichen vom Herrn, deinem Gott, in der Tiefe unten oder oben in der Höhe“ zu erbeten. Gott wollte ihm dadurch nämlich Seinen Schutz bei der Belagerung Jerusalems durch einige feindliche Herrscher zusichern.

Doch dann heißt es anschließend aus dem Mund des Propheten Isaias: „So hört ihr vom Hause Davids! Ist es nicht genug, der Menschen Geduld zu erschöpfen, dass ihr noch die Geduld meines Gottes erschöpft? Drum wird der Allmächtige selbst euch ein Zeichen geben: Siehe, die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären...“ (Is 7,13f.).

Nun sagen die Neuerer und modernen „Reformatoren“, mit diesem Begriff „Jungfrau“ werde eine „junge Frau“ gemeint, worunter ja auch eine nicht mehr jungfräuliche „junge Frau“ fallen würde. Nur bezeichnet der an dieser Stelle verwendete Begriff „alma“ noch genauer und präziser ein junges und heiratsfähiges Mädchen - also nicht eine „junge Frau“, die bereits von einem Mann „erkannt“ worden ist!
Vor allem ist aber hier unbedingt zu beachten: Was wäre es denn für „ein Zeichen vom Herrn, deinem Gott, in der Tiefe unten oder oben in der Höhe“, wenn lediglich eine junge Frau ein Kind bekommt? Wie viele junge Frauen haben denn nicht im Laufe der Menschheitsgeschichte schon alles Kinder bekommen! Wir hätte in diesem Fall ein gewaltiges Überangebot an zeichenhaften Geburten.
Dagegen ist es wirklich ein besonderes und außergewöhnliches Zeichen Gottes, wenn eine „Jungfrau“ ein Kind bekommt, die bisher noch nie von einem Mann „erkannt“ worden ist, was dieses Wort ja letztendlich auch bedeuten will! Das kann nun wirklich als ein einmaliges Zeichen der Zuwendung Gottes gewertet werden. Somit wird im Matthäusevangelium unter Berufung auf die in prophetischer Hinsicht erfolgte Verheißung von Is 7,14 ausdrücklich der zeichenhafte Charakter der Jungfräulichkeit Mariens unterstrichen!

Hauptsächlich aber äußert sich die Leugnung der Jungfräulichkeit Mariens durch die modernen „Fortschrittlichen“ darin, dass ganz offen gesagt wird, Maria habe nach der Geburt Jesu noch weitere Kinder gehabt, die sie eben aus ihrer ehelichen Verbindung mit Josef erhalten habe. Dafür spräche ja der Umstand, dass in den Evangelien klar und unmissverständlich die Rede von den so genannten „Brüdern“ Jesu ist. Was ist davon zu halten? Soll die katholische Lehre tatsächlich diesen wichtigen Umstand missachtet haben?

Nun, schaut man sich die Bedeutung des Wortes „Bruder“ im Alten Testament an, was ja relevant war für den Sprachgebrauch dieses Begriffes zur Zeit Jesu, dann stellt man fest, dass „Bruder“ neben einigen anderen Bedeutungen (wir wollen ja hier nicht die ganze Bandbreite dieses Wortes in der Heiligen Schrift untersuchen) auch so viel beinhaltete wie „naher Verwandter, Vetter“. Überdeutlich wird dies aus dem Umstand, dass in Gen 12,5 Lot, Abrahams Neffe, noch als Abrahams „Brudersohn Lot“ bezeichnet wird, in Gen 13,8 dagegen sagt Abraham zu ihm: „Wir sind ja Brüder!“ Für uns hier ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass nach dem Sprachgebrauch der Heiligen Schrift der Begriff „Bruder“ (und analog „Schwester“) nicht einzig und allein die Bedeutung von „Kind derselben Eltern“ hat, sondern auch einen etwas breiteren Personenkreis innerhalb der eigenen Großfamilie bezeichnen kann!
Und diese Bedeutung von „Bruder“ und „Schwester“ hat sich bei so manchen Völkern und in so manchen Gegenden bis in die Neuzeit hinein erhalten. Der Autor dieser Zeilen hat selbst in seiner Kindheit den Begriff „Bruder“ - in Entsprechung zu seinem Umfeld! - gelegentlich auch auf seine Cousins ausgedehnt. Und bei dem jüngsten Besuch von dem ukrainischen Bischof Yurij Yurchik in Deutschland (siehe den betreffenden Artikel) hat auch er im Gespräch mit mir einmal seinen Vetter eindeutig „Bruder“ genannt, obwohl er keine Brüder im engeren Sinne des Wortes hat. Und auf Nachfrage bestätigte er auch, dass er damit seinen Vetter meine.

Gegen die inhaltlich etwas verengte Interpretation von „Bruder“ und „Schwester“ auf „Kind derselben Eltern“ sprechen auch einige grundsätzliche Überlegungen und Beobachtungen aus der Heiligen Schrift und der Zeit Jesu. Zunächst sei verwiesen auf einen wichtigen Umstand des Aufenthalts der heiligen Familie in Jerusalem (vgl. Lk 2,41ff.): „Seine Eltern zogen alljährlich zum Osterfest nach Jerusalem. So pilgerten sie auch, als Er zwölf Jahre alt war, der Festsitte gemäß hinauf nach Jerusalem. Als die Tage vorüber waren und man auf dem Heimweg war, blieb der Knabe Jesus in Jerusalem zurück, ohne dass seine Eltern es merkten...“. Dabei ist zu beachten, dass jeder Israelit mit dem Erreichen des zwölften Lebensjahres verpflichtet war, jährlich an den Hochfesten nach Jerusalem zu pilgern.
Des weiteren wird in diesem Lukasevangelium berichtet, wie Maria und Josef auf dem Weg heim nach Nazareth Jesus „bei Verwandten und Bekannten“ suchten, um dann auf der Suche nach Ihm doch noch einmal nach Jerusalem zurückzukehren, wo sie Ihn ja schließlich auch fanden.

Nun gilt unbedingt zu beachten, dass im Evangelium wohl kaum hätte gesagt werden können, „Seine Eltern zogen alljährlich zum Osterfest nach Jerusalem“, wenn Maria neben Jesus noch andere, kleinere Kinder gehabt hätte! Vor allem aber hätten Josef und Maria niemals zusammen eine ganze Schar kleinerer Kinder, die ihnen ja angedichtet werden, zurückgelassen, um sich auf die Suche nach Jesus zu begeben, der als Zwölfjähriger (in jedem Fall der älteste!) bereits an der Schwelle zum Erwachsenwerden stand, weshalb ja auch für Ihn bereits die Pflicht zur Pilgerfahrt nach Jerusalem bestand!

Bezeichnend ist auch, dass Jesus, am Kreuze hängend und sterbend, Seine Mutter, da Er selbst nun nicht mehr für sie (in dieser Welt) sorgen konnte, der Obhut Seines Lieblingsapostels Johannes anvertraute, der ja jungfräulich lebte. Dies wäre völlig unmöglich gewesen, hätte Jesus Brüder und Maria noch andere Kinder gehabt! Denn es wäre eine heilige Pflicht dieser vermeintlichen „Brüder“ Jesu gewesen, für Maria zu sorgen, und niemand wäre damals auf die Idee gekommen, die eigenen Eltern der Obhut fremder, auch befreundeter Personen abzugeben, wenn noch eigene Geschwister, zumal Brüder, leben sollten!
Der Umstand aber, dass Jesus vom Kreuz herab zur Maria sprach: „Frau, da ist dein Sohn!“ und zu Johannes: „Da ist deine Mutter!“ (Joh 19,26f.) ist ein anderes eindeutiges Indiz dafür, dass Maria keine weitere Kinder, dass sie nur Jesus das (irdisch-physische) Leben geschenkt hatte, und zwar, wie wir bereits sahen, auf eine wundersame Weise!

Man sollte aber diese ganze Angelegenheit um die Jungfräulichkeit Mariens auch von einer anderen Seite aus betrachten. Maria hat, wie wir weiter oben bereits sahen, den festen Entschluss gefasst, um Gottes willen jungfräulich zu bleiben. Sie fühlte somit die Berufung, sie vernahm den Ruf Gottes, Ihm auf diese damals in jedem Fall ungewöhnliche und besondere Weise zu dienen. Und, und das ist das Wichtigste, sie folgte dieser inneren Stimme, wodurch ja Gott selbst zu ihr sprach!
Nun wendet Er sich aber erneut an sie und lässt ihr durch den Erzengel Gabriel ausrichten, sie solle nach Seinem für uns, Menschen, letztendlich unergründlichen Ratschluss (vgl. Röm 11,33) nun doch Mutter werden, und zwar nicht eine Mutter von vielen, sondern die Mutter des Erlösers selbst, die Gottesgebärerin! Aber Er verwirft bei dieser Berufung Marias zur Gottesmutter trotzdem nicht jenes sowohl in edelster Absicht als auch in Übereinstimmung mit dem vernommenen Ruf Gottes gemachte Gelübte der Jungfräulichkeit, mit welchem Maria ihr ganzheitliches und lebensmäßiges JA zu Gott aussprechen wollte.

Und vielleicht sogar weil Maria sich Ihm ganz schenken wollte und dabei bereit war, aus reinster Liebe zu Gott auch auf die Ehe und das Glück der Mutterschaft zu verzichten, hat Gott dieses ihr Lebensopfer in besonderer Weise in Seinen Plänen berücksichtigt und sie zur Gottesmutterschaft berufen, bei welcher sie zwar Mutter geworden, aber durch das außergewöhnliche Eingreifen Gottes zugleich auch Jungfrau geblieben war! Gott hat ihr das Jungfrau-Sein auf eine andere Weise ermöglicht, indem Er ihre gottgeweihte Jungfräulichkeit durch die Gottesmutterschaft erhöhte und segnete!
Somit ist Maria zum Vorbild einer jeglichen gottliebenden Seele, in gewisser Weise zum Sinnbild der Hingabe des Menschen an Gott geworden. Je mehr man nach menschlichem Ermessen um Gottes willen aufgibt und nach weltlichem Dafürhalten verliert, desto mehr gewinnt man letztendlich im Hinblick auf die Ewigkeit, im Hinblick auf die beseligende, alles Irdische übersteigende und nie endende Gemeinschaft mit Gott! Und weil Maria bereit war, JA zum Ruf Gottes zur Jungfräulichkeit zu sagen, deswegen war sie offensichtlich auch bereit, vorbehaltlos der göttlichen Berufung zur Gottesmutterschaft Folge zu leisten: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe nach deinem Wort“ (Lk 1,38)! Und diesem ganzheitlichen JA Marias zu Gott haben auch wir, die ganze Christenheit, sehr viel zu verdanken, weil ja Gott durch sie an uns, Seinen unwürdigen Dienern, Sein Heil gewirkt hat!

P. Eugen Rissling

 

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