Maria wirklich in den
Himmel aufgenommen?
Vor einigen Wochen erhielt ich einen Anruf aus der Schweiz, wobei mir
mitgeteilt wurde, dass am 15. August, dem Fest Mariä Himmelfahrt, in einer
Züricher Zeitung ein Artikel zum Thema dieses in der katholischen Kirche
feierlich begangenen Festes erschienen ist. Der Autor, ein Theologe,
behauptete darin, es sei natürlich nicht wahr, dass Maria mit ihrem Leib in
den Himmel aufgenommen worden sei, der Glaube daran sei nicht
frühchristlich, sondern erst um das Jahr 450 herum in der katholischen
Kirche entstanden.
Ähnliche Behauptungen sind nicht selten aus dem Mund modernistischer
„Theologen“ zu vernehmen, damit wurde seit mehreren Jahrzehnten von den
Kanzeln herab quasi offiziell eine ganze Menge vom christlich-katholischen
Glaubensgut in Frage gestellt, der Lächerlichkeit preisgegeben und zuletzt
auch entschieden abgelehnt. Warum ist es denn sonst in der Zwischenzeit so
weit gekommen, dass sich die modernistische Glaubenssicht meilenweit vom
überlieferten katholischen Glauben entfernt hat bzw. mit ihm kaum etwas an
Gemeinsamkeiten in wesentlichen Glaubensdingen aufzuweisen hat?
Aber stellen wir uns doch den in dem genannten Presseorgan erhobenen
Behauptungen. Trifft es denn wirklich zu, was darin an Vorwürfen enthalten
ist? Um darauf einzugehen, sei zunächst auf den historisch nachprüfbaren
Umstand hingewiesen, dass in der katholische Kirche seit frühester Zeiten
das Phänomen der Reliquienverehrung verbreitet war.
Diese basiert auf der Überzeugung, dass ein Heiliger, vor allem ein
Martyrer, wegen der außergewöhnlichen Heiligkeit seines Lebens, wegen der
besonders intensiven Gottesgemeinschaft bzw. wegen seines gewaltsamen
Blutvergießens um Jesu Christi und des katholischen Glaubens willen bereits
zu seinen Lebzeiten - sowohl mit seiner Seele als auch mit seinem Leib (!) -
angefangen hat, an der endzeitlichen Herrlichkeit aller erlösten Seelen
teilzunehmen. Und indem man nach deren Ableben deren Reliquien (vor allem ex
ossibus, Knochenreliquien) verehrte (nicht anbetete!), wollte man sich etwa
in besonderer Weise der Fürbitte der betreffenden Heiligen versichern, zumal
ja auch die menschliche Physis, der Leib, der christlich-katholischen
Grundüberzeugung entsprechend nach dem Jüngsten Gericht im verklärten
Zustand an der Herrlichkeit Gottes teilnehmen soll (vgl. 1 Thess 4,14-18;
Apg 24,15).
So ist z.B. durch die archäologisch-wissenschaftlichen Ausgrabungen unter
der Petersbasilika in Rom eine auffällige Gräberanhäufung um das Petrusgrab
(auf dem Vatikanhügel) zutage getreten, teilweise wurden die Gräber sogar
schräg übereinander um das eine Grab des hl. Apostels Petrus herum angelegt.
Dies kann nur damit erklärt werden, dass die Angehörigen der verstorbenen
Christen einen großen Wert darauf gelegt haben, dass ihre in die Ewigkeit
abberufenen Verwandten ihre Ruhestätte möglichst nahe am Grab des für
Christus sein Blut vergossenen hl. Petrus, des ersten Papstes, finden, den
ja viele auch noch persönlich gekannt hatten. Also hat man sich davon
einiges versprochen.
Dieser Fall bestätigt, dass das Faktum der besonderen, aus dem
allgemein-üblichen Rahmen herausragenden Verehrung der körperlichen
Überreste von Heiligen in der katholischen Kirche schon mitten im ersten
christlichen Jahrhundert verbreitet bzw. im Volk verwurzelt war. Auch wenn
wir gern zugeben, dass diese Reliquienverehrung dann später noch weiter
ausgebaut wurde, hat man sie in der Kirche bereits zu Lebzeiten der Apostel
gekannt.
Angesichts dieser doch gewichtigen Tatsache ist es aber äußerst
bemerkenswert, dass von Anfang an nirgendwo die Reliquien der Muttergottes
(ex ossibus) verehrt wurden! Der hl. Josef war zum Zeitpunkt des Beginns des
öffentlichen Auftretens Jesu nicht mehr am Leben. Zwar wurde Jesus von
Seinen Volksgenossen für den Sohn Josefs gehalten (vgl. Lk 3,23; 4,22; Joh
6,42), dies war bekannt. Aber dennoch ist es wohl durch die zeitliche
Distanz zwischen dem Tod des hl. Josef, des Nährvaters Jesu Christi, und dem
Zeitpunkt des Beginns der Lehrtätigkeit Jesu zu erklären, weshalb man keine
Reliquien des hl. Josefs kennt.
Aber Maria hat ja einen anderen, viel bedeutsameren Stellenwert in der
Heilsgeschichte eingenommen. Und auch ihr Bekanntheitsgrad war wesentlich
höher als der ihres keuschen Bräutigams. Sie war die Mutter des
Gottessohnes, sie hat Ihm das (menschliche) Leben geschenkt, Ihn geboren,
zumal ohne ein sonst unabdingbares Dazutun eines Mannes - sie war Jungfrau
und (Gottes)Mutter zugleich! Und dies gehörte zum allgemeinen Glaubensgut
der Christen, wie es uns die Evangelien zur genüge beweisen.
So hat sie schon Elisabeth, ihre Base, mit äußerst respektvollen Worten
begrüßt: „Woher wird mir die Gnade, dass die Mutter Meines Herrn zu mir
kommt?“ (Lk 1,43). Auf den mit den Hochzeitsleuten wegen Weinmangels
mitfühlenden Hinweis Mariens hin vollbringt Jesus auf der Hochzeit zu Kana
Sein erstes Wunder (vgl. Joh 2,3-5) und beginnt dadurch, „Seine
Herrlichkeit“ zu offenbaren (2,11). Maria harrt in Treue unter dem Kreuze
ihres Sohnes aus, und ihr göttlicher Sohn vergisst ihrer auch zum Zeitpunkt
Seines schrecklichen Leidens nicht und vertraut sie der Obhut des Apostels
Johannes an (vgl. Joh 19,25-27).
Nach der Himmelfahrt Jesu kehren die Apostel nach Jerusalem zurück. Dann
werden in der Apostelgeschichte alle zu diesem Zeitpunkt noch 11 Apostel
(vor der Wahl Matthias`) namentlich genannt, dass sie nämlich „alle einmütig
im Gebet verharrten zusammen mit den Frauen, zumal mit Maria, der Mutter
Jesu“ (vgl. Apg 1,12-14). Diese Nennung Marias und ihrer Mutterschaft Jesu
beweist, welchen Stellenwert man ihr in der frühen Kirche gleich zu Beginn
beimaß, welchen Respekt sie dort genoss!
Und nun soll man bei alledem vergessen haben, wo Maria bestattet worden sei,
zumal auf dem vorhin geschilderten Hintergrund der bereits in der Frühkirche
verbreiteten Reliquienverehrung Heiliger!? (Eine andere Erklärung für das
Fehlen einer vermeintlichen Grabstätte der Muttergottes kann der Autor des
oben erwähnten Artikels doch wohl nicht liefern.) Dieser Erklärungsversuch
wäre völlig lächerlich und würde auf dem Hintergrund objektiver historischer
Erkenntnisse kläglich scheitern.
Wenn es aber an keinem Ort dieses Erdkreises eine Verehrung der Reliquien
Marias (ex ossibus) gab, und zwar von Anfang an nicht (!), dann gibt es nur
eine logische Erklärung für diesen Umstand. Dann sind offensichtlich keine
Reliquien der Muttergottes (zum Zweck deren Verehrung) verfügbar gewesen!
Warum findet denn im oben erwähnten Artikel des Schweizer „Theologen“ dieser
wichtige historische Umstand keine Erwähnung, der sowohl die kirchliche
Tradition bestätigt, dass nämlich das Grab Marias leer gewesen ist, als es
von den Aposteln geöffnet wurde, als auch das Dogma begründet, wonach Maria
sowohl mit ihrer Seele als auch mit ihrem Leib in den Himmel aufgenommen
wurde?
Der betreffende Autor begeht noch einen anderen entscheidenden Fehler. Zwar
ist das liturgische Fest der Heimgangs Mariä in der Kirche um die Mitte des
5. christlichen Jahrhunderts herum bezeugt. Aber daraus darf unter keinen
Umständen geschlossen werden, dass erst um dieselbe Zeit herum auch der
Glaube an diese Glaubenswahrheit entstanden sei! Wer eine solche
Schlussfolgerung ziehen wollte, würde grundlegende kirchenhistorische
Gegebenheiten ignorieren.
Wie kam es denn in der Kirche zur Entstehung von Festen und zur Verkündigung
von Dogmen? Bei der Beantwortung dieser Frage sind hauptsächlich zwei
solcher Entstehungswege zu erwähnen. Zunächst ist es bekannt, dass
Allgemeine Konzilien eine große Rolle bei der feierlichen Verkündigung, der
Dogmatisierung des gesamtkirchlichen Glaubensguts spielten. Diese Konzilien
als Bischofsversammlungen sind aber einberufen worden, weil es galt, eine
jeweilige Irrlehre, Häresie, die entstanden war, von der Kirche und den
Gläubigen abzuwehren.
So kam es z.B. zu den sämtlichen Ökumenischen (d.h. Allgemeinen) Konzilien
der Väterzeit. Das 1. Konzil von Nicäa (325) wurde, um nur ein Beispiel für
jene Zeit anzuführen, einberufen, weil der Alexandrinische Priester Arius
die Gottheit Jesu Christi, die Wesensgleichheit des Sohnes mit dem Vater,
leugnete und damit viele in die Irre führte. Die Bischöfe als Nachfolger der
Apostel behandelten diese Thematik und verkündeten der ganzen Welt mit dem
gesamten Gewicht ihres Amtes, dass nämlich Jesus Christus „Gottes
eingeborener Sohn“ ist, „aus dem Vater geboren vor aller Zeit; Gott von
Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott; gezeugt, nicht
geschaffen, eines Wesens mit dem Vater“ (Credo der hl. Messe).
Unbedingt zu beachten ist dabei, dass dieses Konzil (und alle anderen
Konzilien) keinesfalls diese Glaubenswahrheit erst „erfunden“, „geschaffen“
hätte, wie es gelegentlich aus Ignoranz behauptet wird. Nein, die Kirche,
das Lehramt der Kirche hat angesichts einer Irrlehre nur das, was schon
immer von ihr und in ihr geglaubt worden ist (!), lediglich
ausdrücklich-feierlich bestätigt, offiziell zum Rang eines Dogmas erhoben!
Denn dass Jesus wesensgleicher Sohn Gottes ist, gehörte schon zum
unbedingten Glaubensgut des Zeitalters der Apostel selbst (vgl. Joh 1,1;
10,30.33; Röm 9,5)!
So ist z.B. auch das Konzil von Trient (1545-1563) einberufen worden, weil
der Wittenberger Exmönch Luther einen gewaltigen Bruch mit der gesamten
Kirche in Ost und West vollzog und damit sein Unwesen zunächst in deutschen
Landen trieb. Ohne die Entstehung des Protestantismus wäre es sicherlich
auch nicht zum Konzil von Trient gekommen. Und wer wollte so einfältig sein
zu behaupten, erst auf diesem Konzil sei es zu den Lehren gekommen, die dort
von der Kirche feierlich verkündet worden sind?
Der zweite Weg der Entstehung von Festen ist auf bestimmte historische
Umstände zurückzuführen. So ist z.B. die Einführung des Fronleichnamsfestes
mitbedingt durch die entsprechende Vision, die die hl. Juliana von Lüttich
(+1258) hatte. Die enorme Zunahme der Verehrung des heiligsten Herzens Jesu
durch das katholische Volk (und die darauffolgende Einführung des
betreffenden Festes durch die kirchliche Hierarchie) ist eindeutig auch als
eine Reaktion auf die Verirrungen der jansenistischen Häresie zu werten, die
einen übertrieben hartherzigen, ja geradezu unbarmherzigen Gott predigte.
Dass aber die Verehrung der eucharistischen Gegenwart Jesu Christi unter der
Gestalt von Brot und Wein im Allerheiligsten Sakrament des Altares oder auch
die Verehrung Seines göttlichen Herzens in den Worten des Heiligen Schrift
(vgl. Mt 26,26-28; Joh 6,48-58; 1 Kor 11,23-26) bzw. in der Durchbohrung
Seiner Seite (vgl. Joh 19,34f.) begründet ist, steht außerhalb jeglichen
Zweifels!
Und erinnern wir uns bitte, welcher historische Hintergrund um das Jahr 450
vorherrschte, als es in der Kirche zum liturgischen Fest des Heimgangs Mariä
kam. Im Jahre 431 ging es auf dem 3. Allgemeinen Konzil von Ephesus darum,
ob Maria wirklich der Titel „Gottesgebärerin“ zusteht, wie es sonst in der
Kirche üblich war, und was von den Nestorianern eben bestritten wurde.
Für unsere Fragestellung hier ist wichtig, dass das Thema „Maria“ ein so
genanntes Topthema der damaligen Zeit war. Und wenn man im Zusammenhang mit
dem Konzil von Ephesus sein Augenmerk verstärkt auf die Stellung und die
Würde der Muttergottes richtete, dann ist es auch nicht abwegig anzunehmen,
dass man sich seitens der katholischen Kirche veranlasst sah, um der
Unterstreichung dieser ihrer Würde auch zur Einführung des Festes ihrer
Entschlafung, ihres Heimgangs, ihrer leiblichen Aufnahme in den Himmel zu
schreiten. Zumal man ja daran glaubte und mit dem Fest ja nicht neues
einführte! Es spricht nichts gegen diese logische Schlussfolgerung.
Die folgende Überlegung sollte hier ebenfalls mit berücksichtigt werden. Wir
wissen ja, dass es bereit in der apostolischen Zeit Irrlehren und
Abspaltungen von der Kirche gegeben hat. Darauf verweist z.B. Paulus (vgl. 2
Tim 4,3f.), davon ist die Rede auch in der Geheimen Offenbarung des Johannes
(vgl. Offb 2,2). Dieses traurige Phänomen hat sich in der Kirchengeschichte
dann leider auch weiterhin fortgesetzt. So hat sich bis ins 5. christliche
Jahrhundert hinein, wo doch angeblich erst der Glaube an die Himmelfahrt
Mariä entstanden sei, nach und nach eine ganze Reihe häretischer
Gruppierungen von der Kirche getrennt bzw. sind von ihr wegen Häresie
exkommuniziert worden.
Nun kann man sich doch leicht vorstellen, dass sich alle diese Irrlehrer
sehr gern vor Freude die Hände gerieben hätten, wenn sie ein vermeintliches
Argument mehr gehabt hätten, mit welchem sie die Kirche hätten angreifen und
sie der Untreue gegenüber dem überlieferten Glaubensgut hätten bezichtigen
können. Interessant aber ist, dass keiner dieser Häretiker der katholischen
Kirche vorgehalten hat, diese hätte den Glauben an die Himmelfahrt Mariä neu
eingeführt!
Also weist die Tatsache, dass sie sich darin nicht vom Glauben der Kirche
unterschieden haben, ebenfalls darauf hin, dass der kirchliche Glaube an
diese Glaubenswahrheit wesentlich höheren Alters ist, d.h. offenkundig bis
in die Zeit der Apostel selbst hinaufreicht. Denn sonst hätte sich in den
ersten christlichen Jahrhunderten sicher jemand zu Wort gemeldet und die
Kirche der vermeintlichen Häresie bezichtigt. Es klingt zwar paradox, aber
die Tatsache der Existenz von Irrlehrern in der frühchristlichen Zeit
erscheint im Zusammenhang mit dem von uns hier behandelten Thema als eine
Art Abwehrmechanismus, welcher sich gegen die Einführung von
Glaubensinhalten richtet, die nicht bis ins apostolische Zeitalter hinein
zurückverfolgt werden können.
Die modernistischen „Theologen“ traten und treten mit dem Anspruch auf, den
wahren, historischen Jesus zu predigen, den überlieferten Glauben, welcher
unzulässigerweise in einen Zusammenhang mit dem Reich der Märchen gebracht
wird, von allen menschlichen Beimischungen „reinigen“ zu wollen. Was wir
aber beobachten müssen, ist, dass sich diese Personen mit ihrem Unglauben,
denn nur so können deren Ansichten letztendlich charakterisiert werden,
nicht nur schwerstens gegen den heiligen katholischen und apostolischen
Glauben versündigen, sondern sich auch schwer fahrlässig gegen so manche der
historischen Fakten hinwegsetzen, um nur dem zu frönen, was von ihnen
ziemlich unkritisch als „modern“ und „fortschrittlich“ hochgepriesen wird.
Aber wenn hier schon jemand Märchen erzählt, dann wird es an diesem Fall
überdeutlich sichtbar, welche der Seiten dies tut!
Maria ist in den Himmel aufgenommen worden, sie ist über alle Heiligen und
Engel erhoben worden, weil sie wie kein anderer Gott geliebt und Ihm als
demütige Magd gedient hat. Nun ist sie auch unsere wirksamste Fürbitterin am
Throne ihres göttlichen Sohnes. Bringen wir ihr also unsere Gebete dar -
insbesondere jetzt, in dem dem Rosenkranzgebet geweihten Monat Oktober -,
damit diese durch ihre Fürsprache umso mehr bei Gott Erhörung finden!
P. Eugen Rissling
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