Kurze Messbetrachtung

29. Teil


19. Paternoster


Mit dem „Per ipsum et cum ipso et in ipso“ wurde der Kanon, dieses Herzstück der altehrwürdigen Römischen Messliturgie, abgeschlossen. Zuletzt wurde mit der Erhebung der konsekrierten Gestalten und den dazugehörenden Gebeten und Zeremonien von der Kirche dem Dreifaltigen Gott „alle“ seitens der Schöpfung nur erdenkliche „Ehre und Verherrlichung“ dargebracht. Und wie wir bereits beim letzten Mal darauf hingewiesen haben („Beiträge“/48, S. 24f.), stellt diese liturgische Handlung eine Art Höhe- und Kulminationspunkt der gesamten Opferdarbringung selbst dar.


Und nun beginnt nach der Verrichtung des eucharistischen Opfers des Neuen und Ewigen Bundes das sogenannte Opfermahl, der Kommunionteil der hl. Messe. Wie auch im Alten Testament die Opfertiere erst geschlachtet, geopfert werden mussten, damit die an jenen Opfern teilnehmenden frommen Israeliten auch in den Genuss der von jenen Opfern ausgehenden und damit verbundenen Segnungen kommen konnten (die allerdings wegen der Dürftigkeit des gesamten Alten Bundes noch unzulänglich waren), so muss auch in der vollkommenen, nun tatsächlich Gottes Heil spendenden neutestamentarischen Liturgie der Kommunionausteilung unbedingt die Opferhandlung, gewissermaßen die sakramentale Schlachtung des wahren Opferlammes Gottes, Jesu Christi, vorausgehen.


Denn es gibt kein Opfermahl ohne die zuvor erfolgte Opferdarbringung! An diesem ehernen Grundsatz, der von Anfang an in der Christenheit gegolten hat, und der auch in den alten Liturgien deutlich zum Vorschein kam, scheitern übrigens sowohl die offizielle postkonziliare „katholische“ Theologie als auch die daraus resultierende modernistische „Eucharistiefeier“, der „Novus Ordo Missae“. Dieser gleicht wegen des Fehlens einer konkreten Opferdarbringung und der Übernahme einiger anderer protestantischer und protestantisierender Elemente mehr einem Lutherischen „Abendmahl“, als dass er in der genuinen Tradition christlich-katholischer Liturgien stünde.


„Die Früchte des Opfers in der Kommunion sind für den Einzelnen durch den Grad der Tugend des Glaubens, durch das Vertrauen, das Verlangen und die Liebe in ihrem größeren oder geringeren Ausmaße bestimmt. Um diese Seelenstimmung zu erzeugen oder zu vermehren, lässt die Kirche dem Empfang der heiligen Kommunion eine Reihe von Gebeten vorhergehen“ (Eisenhofer, L., Handbuch der katholischen Liturgik. Band II, Freiburg 1933, S. 195), zu welchen seit Alters her auch das „Vaterunser“ gehörte. Diesen Umstand verdankt es vor allem wohl wegen seiner vierten Bitte: „Unser tägliches Brot gib uns heute“, welche bereits von den Vätern ganz einheitlich auf die heilige Eucharistie gedeutet wurde.
Zwar wird das „Vaterunser“ in einigen der überlieferten abendländischen Messliturgien (Altgallikanische, Ambrosianische, Mozarabische) erst nach der Brotbrechung verrichtet. Allerdings wird es im Römischen Messritus spätestens seit dem hl. Papst Gregor dem Großen (590-604) an der jetzigen Stelle gebetet, also unmittelbar nach dem Kanon. Es ist naheliegend anzunehmen, dass der eigentliche Grund hierfür wahrscheinlich in der Tatsache liegt, dass das „Vaterunser“ mit seiner ersten Bitte („Geheiligt werde Dein Name“) gewissermaßen nahtlos an den Lobpreis Gottes im vorausgehenden „Per ipsum...“ anschließt, wodurch ein geeigneter inhaltlicher Übergang geschaffen werde.


Das „Vaterunser“ ist ja das bekannteste Gebet unter den Christen. Seinen Stellenwert erhält es von der Tatsache, dass es gewissermaßen nicht von „Menschenhand“ ist. Nicht irgendein frommer Mensch hat es erfunden, nicht ein großer Heiliger hat es gedichtet, nicht die Kirche hat es formuliert - der Herr selbst hat es uns gelehrt!


Es sind also Seine Worte, die wir während dieser betenden Hinwendung an Ihn wiederholen dürfen; es ist Seine Weisheit, die hier in diese auf der einen Seite einfachen und für jedermann verständlichen und auf der anderen Seite dennoch inhaltsintensiven und prägnanten Worte gekleidet wurde! Und sprach Er ja ausdrücklich zu den Aposteln, als er sie das „Vaterunser“ lehrte: „So sollt ihr nun beten“ (Mt 6,9). Damit soll das „Vaterunser“ wohl eine Art Regel für unser Beten sein, eine Richtschnur, an welcher wir uns zu orientieren und inhaltlich auszurichten hätten.


Rufen wir uns also immer wieder in Erinnerung, welchen Stellenwert dieses schlichte aber würdevolle Gebet, das sogenannte Herrengebet, im Gebetsleben der Christenheit, also auch in unserem Glaubensleben mit Gott, haben sollte!
Und um uns während der hl. Messe daran zu erinnern, spricht der zelebrierende Priester mit üblicherweise gefalteten Händen einleitend: „Lasset uns beten. Durch heilbringende Anordnung gemahnt und durch göttliche Belehrung angeleitet, wagen wir zu sprechen“. Das feierlich klingende und die Gläubigen zum Beten aufrufende „Oremus“ unterstreicht einmal mehr den besonderen Charakter des „Vaterunser“.


Unsere Aufmerksamkeit wollen wir bei dieser Gelegenheit auch auf das Wörtchen „wagen“ richten. Es weist auf eine feine Art und Weise darauf hin, dass wir es wegen unserer sowohl allgemeinen Schlechtigkeit als auch persönlichen Sündhaftigkeit an sich nicht verdient hätten, diese Gebetsworte Jesu Christi (betend) zu wiederholen. Der katholischen Kirche erscheint dies als anmaßend. Aber „durch heilbringende Anordnung“ unseres Herrn und Erlösers „gemahnt und durch“ Seine eigene „göttliche Belehrung angeleitet“, wagen wir es dennoch, dieses „Vaterunser“ in den Mund zu nehmen und die darin enthaltenen Bitten als die unsrigen an den himmlischen Vater zu richten!
b) „Vater unser, der Du bist im Himmel, geheiligt werde Dein Name; zu uns komme Dein Reich; Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden! Unser tägliches Brot gib uns heute, und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern; und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel. Amen.“ (Vgl. Mt 6,9-13)


Es gibt sicherlich verschiedene Möglichkeiten und berechtigte Alternativen, das „Vaterunser“ auszulegen. Es ist so universell und inhaltsreich, dass es von verschiedenen Gesichtspunkten her gesehen werden könnte, um die menschliche Seele geistig zu bereichern und ihr entsprechende Nahrung zu geben. Wir wollen uns aber in diesem Rahmen aus verständlichen Gründen auf die Auslegung des Herrengebets im Hinblick auf das Messopfer und die hl. Eucharistie beschränken, da es ja seit ältesten Zeiten der Christenheit auch als ein Bestandteil der Liturgie in Erscheinung tritt. Dabei wollen wir ausdrücklich darauf verweisen, dass dies hier nur mit kurzen Denk- bzw. Gebetsanstößen geschehen kann, dass jeder von Ihnen, verehrte Leser, diese Anstöße weiter zum eigenen geistigen Nutzen verinnerlichen möge.
„Vater unser, der Du bist im Himmel“: Gott hat sich den Menschen in Jesus Christus als ein liebender Vater geoffenbart. Das ist ein Spezifikum des Christentums, charakteristisch für die Offenbarung Gottes in Seinem Sohn ...und keiner anderen Religion bekannt.


Und zwar geht es Ihm als „Vater“ um das Wohlergehen, das Heil der Menschen. Dies wurde von Ihm dadurch zur Genüge unter Beweis gestellt, dass Er „so sehr die Welt geliebt hat, dass Er Seinen Eingeborenen Sohn dahingab, damit jeder, der an Ihn glaubt, nicht verlorengehe, sondern das ewige Leben habe“ (Joh 3,16). „Der Vater ist Ursprung und fürsorgender Beschützer zugleich. Auf den Vater richtet sich kindliches Vertrauen und demütige Ehrfurcht. Er ist Autorität und doch familiärer Vertrauter, Er kann in Strenge handeln, aber niemals ohne Liebe“ (Trilling, W., Das Evangelium nach Matthäus. Teil I, Patmos Verlag 1962, S. 146).


Obwohl unser „Vater“, ist Er dennoch ganz anders als unsere irdischen, menschlichen Väter. Er wohnt nämlich „im Himmel“! Dieser die Realität Gottes bildlich umschreibende Zusatz ist bitte nicht im physikalisch-naturwissenschaftlichen Sinn zu verstehen. Er bedeutet, dass Gott über allen irdischen Dingen ist, jenseits unserer sichtbaren Welt, die zwar von Ihm erschaffen wurde, aber dennoch kein Teil von Ihm ist. Er ist reiner Geist, nicht mit den Augen des Körpers zu vernehmen, aber dennoch uns ganz nah, weil auch wir eine Geistseele haben, ja Geistseele sind. Die Wendung „im Himmel“ weist dann aber auch auf die sittliche Oberhochheit Gottes hin, auf Seine unendliche Güte und Heiligkeit, wodurch Er sich umso mehr von uns, den Menschen, qualitativ unterscheidet.


Das ganze „Vaterunser“ lang hat der Priester laut Rubriken seinen Blick auf die konsekrierten Gestalten zu richten, die vor ihm auf dem Altar liegen bzw. stehen. „Wer Mich sieht, sieht den Vater“ (Joh 14,9), hat Jesus zum Apostel Philippus gesagt, als dieser den Vater Jesu sehen wollte. So schaut jetzt der Priester das allerheiligste Altarssakrament an und erblickt darin (wegen der hypostatischen Union, der gegenseitigen Vereinigung und geistigen Durchdringung der drei göttlichen Personen in der Trinität) eben auch den „Vater“, Der durch Seinen Sohn der Menschheit nahegebracht wurde, welcher ja seinerseits „der Abglanz“ der „Herrlichkeit und das Abbild“ des „Wesens“ des Vaters ist (vgl. Hebr 1,3)!
Aber zugleich wähnen wir uns dadurch auch wie im Himmel; nicht nur wir wähnen das, sondern wir befinden uns sogar gewissermaßen im Himmel. Denn wenn wir Ihn, den Vater, Der ja „im Himmel“ wohnt und in Jesus ist (vgl. Joh 10,30.38), hier auf dem Altar liegend in unserer Mitte haben und anschauen und darüber hinaus zu Ihm auch beten können, dann ist folgerichtig dieser „Himmel“ bei uns im Gottesdienstraum eingezogen... Vergessen wir das nie!

(Fortsetzung folgt)

P. Eugen Rissling





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