Kurze Messbetrachtung

(41. Teil)

26. Schlussevangelium

Nachdem der Priester den Schlusssegen gespendet hat, wendet er sich mit einer Drehung nach rechts der Evangelienseite zu und beginnt das Schlussevangelium. Dieses ist der jüngste Teil des Römischen Messritus und verdank seine Entstehung hauptsächlich der Vorliebe und der Wertschätzung des Mittelalters für den Prolog des Johannesevangeliums. Denn in diesem wird ein ausdruckstarkes gläubiges Bekenntnis an die Gottheit Christi und die Menschwerdung des Gottessohnes abgelegt – die fundamentalen und unveräußerlichen Grundlagen unseres heiligen katholischen Glaubens!
Da der Prolog des Johannesevangeliums außerdem auch noch viel Stoff für ein intensives betrachtendes Gebet beinhaltet, wurde er von den Priestern anfänglich, als er nämlich noch kein fester Bestandteil der hl. Messe selbst war, gern auf dem Weg vom Altar zur Sakristei verrichtet, wo ja dann die liturgischen Gewänder abzulegen waren.

Aber nachdem sich diese Zeremonie im Laufe der Zeit in Klerus mehr oder weniger fest eingebürgert hatte, wurde sie dann nach und nach zum Teil des Messritus selbst – man begann den Prolog nicht nur am Altar bloß zu beginnen, sondern dort auch ganz zu Ende zu sprechen! Auf diese Weise wandelte sich der Anfang des Johannesevangeliums von einem Teil der Danksagung zum Ritus der Messliturgie selbst.
Begünstigt wurde dieser Prozess sicherlich auch dadurch, dass man den Evangelien insgesamt eine Dämonen vertreibende und Dämonen abhaltende Wirkung zuschrieb. „Dieser Glaube beruht nicht auf abergläubischer Meinung, in den Worten des Evangeliums eine magische Formel zu besitzen, die durch ihr Aussprechen allein die bösen Geister vertreibe. Das Vorlesen der Evangelien sollte vielmehr ein Akt des Glaubens an den in ihnen verkündeten Heiland sein und ein Akt des Vertrauens auf seine göttliche Hilfe. Aus diesem Grunde findet noch jetzt nach dem Rituale Romanum bei der Visitatio infirmorum [Krankenbesuch – Anm.] eine Vorlesung von Evangelien statt“ (Eisenhofer, L., Handbuch der katholischen Liturgik. Freiburg 1933, Band II, S. 225). Und was von den Evangelien insgesamt gesagt werden kann, das gilt dann für den Anfang des Johannesevangeliums insbesondere, da ja hier einige der wesentlichen christologischen dogmatischen Lehren verkündet werden!

An diesem Beispiel wird übrigens ersichtlich, wie der Messritus in der kirchlich-liturgischen Überlieferung generell gewachsen bzw. sich kontinuierlich entwickelt hat! Da hat man nämlich in der Vergangenheit keine „Neuerungen“ nach der Art modernistischer oder auch protestantischer „Reformer“ künstlich oder sozusagen am grünen Tisch eingeführt, wie wir dies heute leider zur Genüge kennen. Nein, die gesunde und über die Jahrhunderte hindurch überlieferte katholische Glaubensüberzeugung der Kirche und des gläubigen Volkes hat den Ausschlag für diese oder jene Entwicklung, für diesen oder jenen Zusatz gegeben. Und dies beugt übrigens auch gegen alle „Neuerungen“ vor, welche dem Glauben der Kirche widersprechen!


Der Priester leitet die Vorlesung des Schlussevangeliums, nachdem er sich der vom Volk aus gesehen linken Altarseite zugewandt hat, auf dieselbe Weise ein wie zuvor das Tagesevangelium der hl. Messe: „Dominus vobiscum – der Herr sei mit euch“. Dasselbe wünschen auch die Altardiener dem Priester im Namen des anwesenden gläubigen Volkes: „Et cum spiritu tuo“.

Wiederum wird uns die Wichtigkeit Seiner Präsens in Erinnerung gerufen, dass wir nämlich nur dann gottwohlgefällig leben können, wenn Er sozusagen mit uns im Boot sitzt, und wir uns nach Ihm ganzheitlich-lebensmäßig ausrichten – wenn Er eben mit uns ist!

Dann macht der Zelebrant mit dem Daumen seiner rechten Hand ein kleines Kreuzzeichen auf der Altardecke und bekreuzigt mit demselben sowohl seine Stirn als auch den Mund und das Brust. Wiederum möge der Herr mit Seiner Anwesenheit den Verstand der Gläubigen erleuchten, damit sie Seine Wahrheit vernehmen. Ihr Mund soll dann den Reichtum der erkannten göttlichen Wahrheit verkünden, damit auch andere dadurch ihren Heiland erkennen und im Leben entsprechend bereichert würden. Und im Herzen der Gläubigen möge dann auch immer mehr die Liebe zum göttlichen Schöpfer- und Erlösergott entstehen und wachsen, damit „Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und dass ihr in der Liebe festgewurzelt und festgegründet seid“ (Eph 3, 17).

Während der Priester diese Kreuzzeichen macht, spricht er: „Anfang des heiligen Evangeliums nach Johannes“, worauf die Antwort folgt: „Ehre sei Dir, o Herr“. Verherrlicht werden möge also der Herrgott für die in Evangelium enthaltene Wahrheiten, die uns ja trotz deren Kenntnis immer wieder von neuem den Verstand erleuchten, den Willen stärken und somit zum Heil gereichen. Und nun beginnt der Priester mit der Rezitation des betreffenden Abschnittes aus Joh 1, 1-14, wobei das Schlussevangelium immer gesprochen und niemals gesungen wird.

„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Schon im Anfang war Es bei Gott.“ Diese Worte bringen die große Wahrheit des christlich-katholischen Glaubens von der Ewigkeit Gottes und der Gottheit Christi zum Ausdruck! Denn bevor Gott die ganze sichtbare physische Welt mit ihrer Zeitlichkeit - das gesamte Weltall in seinen mannigfaltigsten Formen - erschaffen hatte, war bzw. lebte Er schon! Er ist unerschaffen, vor allen Zeiten, überzeitlich, ewig.

Und Er wollte sich offenbaren, sich Seinem Geschöpf öffnen, mitteilen! Und zwar fasste Er diesen Willen nicht irgendwann in der Zeit (etwa nach dem Prinzip eines Werdens), wobei Er ihn zuvor nämlich noch nicht gehabt hätte. Nein, Er besaß diesen Heilswillen schon immer, ewig; denn „das Wort war“ ja bereits „im Anfang“, vor Beginn der Zeitlichkeit!

Das „Wort“ ist hier die Offenbarung des Vaters in der göttlichen Dreifaltigkeit, der Sohn, die zweite Person der Trinität, die sich uns dann schlussendlich in Jesus Christus in konkret-menschlicher Gestalt gezeigt hatte. Wird ja auch von Jesus gesagt, Er sei „der Abglanz Seiner Herrlichkeit und das Abbild Seines Wesens“ (Hebr 1,3). Unterstrichen wird dies durch die Feststellung, dass dieses „Wort“, Jesus Christus von Nazareth nämlich, tatsächlich im Besitz der göttlichen Natur ist und uns somit nichts Geringeres als die reale Wahrheit bzw. die wahre Realität Gottes mitteilt!

Und wenn es heißt, dass „Gott das Wort war“, welches „im Anfang war“, dann bedeutet dies in letzter Konsequenz, dass es außerhalb und unabhängig von der konkreten historischen Gestalt Jesu Christi keinen anderen Gott und keinen wie auch immer gearteten Zugang zu Vater gibt! Somit offenbart sich der einzige wahre Gott nur im Christentum, nur in unserem Erlöser Jesus Christus!

„Durch das Wort ist alles geworden, und nichts, was geworden, ward ohne das Wort.“ Der Hebräerbrief sagt von Christus, dass „die Welt durch Ihn erschaffen“ worden ist (vgl. Hebr 1,2). Somit besteht der Zweck der gesamten Schöpfung letztendlich in der Ermöglichung der Offenbarung Gottes an das vernunftbegabte Geschöpf, damit nämlich der Mensch in Berührung mit diesem sich selbst mitteilenden, sich dem Menschen in Liebe ausströmenden Gott komme! Erst in Ihm, dem dreifaltigen Gott, und von Ihm her erhält die Welt ihren letzten Sinn und ihre eigentliche Bedeutung! Der Mensch lebt nicht zum Selbstzweck, also nur um zu existieren, sich möglichst zu vergnügen, sich zu vermehren und dann letztendlich zu sterben, sondern um Gott zu begegnen, um Seine Liebe und Güte zu erfahren, um dann durch die eigene positive Antwort auf das Werben Gottes mit Ihm innige geistige Gemeinschaft zu pflegen!

„In Ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.“ Denn das, was Er dem menschlichen Geschöpf „anbietet“, ist nicht eine etwa sehr wertvolle äußere Sache oder ein höchst kostbarer Gegenstand. Nein, Gott will dem Menschen nichts Geringeres als sich selbst schenken, Er möchte ihm Anteil an Seinem eigenen Dasein, an Seiner Liebe, an dem ewigen Leben gewähren: „Das Leben ist sichtbar erschienen. Wir haben es gesehen. Wir bezeugen und verkündigen euch das ewige Leben, das beim Vater war und uns sichtbar erschienen ist“ (1 Joh 1,2).

Und zwar stellt diese lebenspendende Gegenwart Gottes sehr wohl etwas dar, was dem menschlichen Geschöpf (beim richtigen Verständnis und Zugang!) viel Freude bereitet und sein ganzes Wesen geistig erleuchtet. Der Mensch ist ohne Gott bei weitem noch nicht „fertig“ oder vollkommen, als würde sein Geöffnet-Sein zur höheren geistigen Welt nicht zum Wesen der menschlichen Natur und des menschlichen Geistes gehören. Denn schließt er Gott aus seinem Leben aus, ist er gewissermaßen “mangelhaft“, „unvollständig“ und leidet Not (wenn auch nicht immer vollbewusst). Und erst wenn er sich willentlich dem herrlichen „Licht“ Gottes „ausgesetzt“, wird er zum „vollen“ Menschen, wie er von Gott auch erschaffen worden ist. Dann „blüht“ er auf und „verwandelt“ sich gewissermaßen selbst zum „Licht“: „Denn in Dir ist die Quelle des Lebens, und in Deinem Licht schauen wir das Licht“ (Ps 35,10)!

„Und das Licht leuchtet in der Finsternis; aber die Finsternis hat es nicht begriffen.“ Gott will alle „erleuchten“ und bietet jedem Sein „Licht“ an. Tragischerweise wird aber dieses „Leben“ und „Licht“ Gottes nicht von jeder menschlichen Freiheit bejaht und angenommen. In diesem Fall verbleibt der Mensch in der „Finsternis“ der Sünde und Gottesferne. Weil er sich eben nicht für Gott öffnen will, begreift er auch nicht dessen Wesen und bleibt geistig blind.

„Da ward ein Mann von Gott gesandt; sein Name war Johannes. Dieser kam als Zeuge; er sollte Zeugnis geben von dem Licht, auf dass alle durch ihn zum Glauben gelangten. Er selbst war nicht das Licht, er sollte nur Zeugnis von dem Licht geben.“ Weil sich aber Gott mit diesem höchst bedauernswerten Zustand nicht abfindet, sendet Er einen „Zeugen“, welcher sowohl generell durch seine ganze Existenz als auch konkret durch sein beispielhaftes Lebenszeugnis auf das wahre Licht hinweist und dadurch den Menschen den Weg zu diesem wahren Gott ebnen will. Denn dieser Johannes kennt dieses „Licht“ insofern gut genug, dass er sowohl dessen Erhabenheit als auch dessen heilsamen Wirkungen aus persönlicher Erfahrung bezeugen kann!

„Das war das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt. Er war in der Welt, und die Welt ist durch Ihn geworden. Allein die Welt hat ihn nicht erkannt. Er kam in Sein Eigentum; doch die Seinigen nahmen Ihn nicht auf.“ Niemand kann sich ausreden, Gott sei ihm nie begegnet, er habe niemals den Willen Gottes vernommen. Denn jeder Mensch, „der in diese Welt kommt“, ist eine Geistseele und somit als solche befähigt, die Erkenntnis um die Existenz und das sittliche Gebot Gottes zu vollziehen (natürliche Gotteserkenntnis). Wenn er Gott nur beharrlich suchen wollte, würde er Ihn früher oder später auch finden und somit bewusst realisieren, dass er von diesem göttlichen „Licht“ ständig „angeleuchtet“ wird.

Und weil der Mensch letztendlich ebenfalls um Gottes und Seiner Liebe willen erschaffen worden ist, hat Er auch so genannte „Eigentumsrechte“ auf ihn. Der liebe Gott handelt keinesfalls anmaßend, wenn Er dem Menschen die Einhaltung Seinen heiligen Gebote einschärft, wenn Er eine positive Antwort auf Sein Gnadenangebot an uns erwartet – es ist nur billig und recht!

Bedauerlicherweise schließt aber die „Welt“, das heißt den wahren Gott nicht anerkennen-wollende Teil der Menschheit, ihre inneren Augen vor Ihm und will von Ihm leider nichts wissen. Dazu gibt es aber keinen legitimen Grund und keine berechtigte Veranlassung.

„Allen aber, die Ihn aufnahmen, gab Er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen jenen, denen, die an Seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Verlangen des Fleisches, noch aus dem Wollen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind.“ Alle jenen aber, die ihr Herz aufrichtig für den göttlichen Gast öffnen und Ihn voll Freude willkommen heißen – „an Seinen Namen glauben“ -, wird das große Privileg zuteil, in besonderer Weise „Kind Gottes“ zu werden. Denn sie sprechen ein freies, freiwilliges und somit ein liebendes „Ja“ zu Ihm und sehen sich dabei weder durch ihre etwaige biologische Abstammung noch etwa durch irgendwelche innere Triebe oder äußere Nötigungen veranlasst, sich zu Ihm zu bekennen. Diese Menschen werden dann im Hinblick auf die Ewigkeit eben „aus Gott geboren“!

„Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt. Und wir haben Seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit.“ Um die zuletzt gemachten Feststellungen gewissermaßen zu unterstreichen bzw. um den Höhepunkt der Offenbarung Gottes an die Menschheit zu bezeichnen, fügt der Evangelist hier noch den Bericht von der sich im Stall zu Bethlehem historisch-konkret vollzogenen Menschwerdung Gottes an. „Auf vielfache und mannigfaltige Weise hat Gott vor Zeiten durch die Propheten zu den Vätern gesprochen. In dieser Endzeit hat Er durch Seinen Sohn zu uns gesprochen“ (Hebr 1,1f).

Weil jenes „Wort“, welches „im Anfang“, das heißt vor allen Zeiten, sowohl „bei Gott war“ als auch „Gott war“, nun „unter uns gewohnt hat“, wird ein jeder gläubige Christ in die Lage versetzt, die „Herrlichkeit“ des wahren und lebendigen Gottes mit seinem geistigen Auge zu sehen und Seine „Gnade und Wahrheit“ zu erfahren! Denn wer das Antlitz Jesu Christi, des sich konkret offenbarenden Gottes, voll gläubigen Sinnes betrachtet, der begegnet dem Vater (!): „Wer an Mich glaubt, der glaubt nicht an Mich, sondern an Den, der Mich gesandt hat; und wer Mich sieht, der sieht Den, der Mich gesandt hat. Als Licht bin Ich in die Welt gekommen, damit niemand, der an Mich glaubt, in der Finsternis bleibe“ (Joh 12,44-46).

Und um die fundamentale Heilsbedeutung des christlichen Glaubens von der Menschwerdung Gottes für jedermann äußerlich-sichtbar zu unterstreichen, beugt der Priester sein rechtes Knie bei den Worten: „Und das Wort ist Fleisch geworden“. Erfolgte ja dieselbe ausdrucksstarke Geste auch schon bei den entsprechenden Worten des Credo, des Glaubensbekenntnisses der hl. Messe. Somit stellt dieser Kniefall ein Zeichen der Verehrung und Anbetung des menschgewordenen und uns das Heil bringenden Gottes dar!

Leider ist aber das ganze Schlussevangelium mit seinen herrlichen und enorm wichtigen Glaubensaussagen bereits der „Liturgiereform“ von 1965 zum Opfer gefallen – wie bezeichnend! Man begründet zwar den Wegfall des Schlussevangeliums offiziell damit, dass dieses ja erst spät ein Teil des Messritus geworden ist. In Wirklichkeit aber darf man wohl davon ausgehen, dass man an verantwortlicher Seite nicht mehr gewollt hat, die Menschen würden in Berührung kommen mit manchen den modernen „Ökumenikern“ und „Religionsverbrüderern“ offenkundig unbequem gewordenen Glaubensaussagen des Johannesprologs!

P. Eugen Rissling


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