Kurze Meßbetrachtung 


3. Teil

Stufengebet 

Nach dem Gang von der Sakristei zum Altar steht der Priester zu Beginn der Heiligen Messe unten vor den Stufen des Altares in einiger Entfernung vor demselben. Sein Blick ist gesenkt, weil er sich seiner Sünden wegen nicht würdig erachtet, zu Gott aufzuschauen. Angesichts der Herrlichkeit und Erhabenheit Gottes muß jeder ungeordnete menschliche Stolz aus den Herzen der Christen vertrieben werden. Auch der Zöllner des Evangeliums “blieb von Ferne stehen und mochte nicht einmal die Augen zum Himmel erheben” (Lk 18,13). 

Der Priester macht das hl. Kreuzzeichen und legt dadurch ein kurzes Glaubensbekenntnis ab. Die Worte “Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes” beinhalten in Kürze den katholischen Glauben an die Allerheiligste Dreifaltigkeit. Der lebenspendende Vater hat sich der Menschheit in Seinem Sohn geoffenbart und lebt in den Christen im Heiligen Geist. Das Zeichen des Kreuzes erinnert an das bittere Leiden und Sterben unseres Herrn Jesus Christus, wodurch Er für uns die Erlösung bewirkt hat. Das lebenspendende Kreuz möge an uns seine segensreiche Wirkung entfalten. Außerdem stellt die Berührung der Stirn, der Brust und der Schultern ein Programm dar: wir sollen uns die Gesinnung aneignen, die Jesus erfüllte; die Liebe zu Seiner Person und Lehre soll unser Herz erfüllen; die Bürde des Evangeliums - es ist nicht leicht, (besonders heute) als Christ zu leben - soll mit Geduld, Hingabe und Freude getragen werden. Kann ja auch das Ziel des Lebens eines Jüngers Christi u. a. mit der Nachfolge Christi, mit dem Nachvollzug des Lebens Jesu Christi umschrieben werden: “Wer Meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der Mich liebt” (Joh 14,21); “Wer sein Kreuz nicht auf sich nimmt und Mir nicht nachfolgt, ist Meiner nicht wert” (Mt 10,38)! 

In der Apostelgeschichte wird uns berichtet, wie Petrus einen Lahmgeborenen “im Namen Jesu Christi von Nazareth” geheilt hat. Bei der anschließenden Rede bekräftigte derselbe Apostel, daß er den Kranken nicht “aus eigener Kraft oder Frömmigkeit ... zum Gehen gebracht hätte”, nein, Christus hat diesem Mann “aufgrund des Glaubens an Seinen Namen Kraft verliehen” (vgl. Apg 3,1-16). Nicht nur begegnet ein Christ den Widerwärtigkeiten und Schwierigkeiten des Alltags, nicht nur beginnt er sein Gebet und Ringen in Gottes Namen, besonders auch bei der Mitfeier bzw. dem Mitvollzug des erlösenden Opfers Jesu Christi vertraut er auf die Kraft und den Segen des dreifaltigen Gottes, auf die heilende Wirkung, die dem Kreuz Christi entströmt. Und wenn Er schon mitten unter uns ist, wenn wir beim Gebet in Seinem Namen versammelt sind (vgl. Mt 18,20), um wieviel mehr dürfen wir uns Seiner beseligenden Gegenwart im Hl. Meßopfer und im allerheiligsten Altarsakrament erfreuen! Durch das abschließende “Amen. - So soll es sein”, das dem Hebräischen entstammt, bekräftigt der Priester (und mit ihm auch die ganze Gemeinde) diesen Glauben, der in diesen wenigen Worten und Gesten des Kreuzzeichens enthalten ist. 

In Abwechslung mit den Altardienern betet nun der Priester den Psalm 42. Bei einem levitierten Hochamt verrichten auch der Diakon und Subdiakon ihren eigenen Dienst, zu dem sie kraft ihrer Weihe befähigt sind. Auch Kleriker mit Niederen Weihen assistieren dem Priester. Da ihr Dienst ebenfalls ein sakraler ist, legen sie je eigene liturgische Gewänder an. Weil es aber im Laufe der Zeit aus verschiedenen Gründen nicht mehr möglich war, überall Leviten zur Feier der Heiligen Messe herbeizubringen, setzte sich der Meßdiener durch, der im Prinzip den Dienst eines Akolythen versieht und vorzüglich aus der Reihe der Buben und jungen unverheirateten Männer genommen wird. Die besondere Rolle, die der Meßdiener in der Liturgie spielt, wird durch seine Ministrantenkleidung unterstrichen. Eingeleitet wird der Psalm 42 mit einer Antiphon, die den Charakter und die Grundaussage des ganzen Psalms andeutet: “Zum Altare Gottes will ich treten, zu Gott, der mich erfreut von Jugend auf”. Die Kirche gibt deutlich zu erkennen, daß der Priester (und mit ihm die Gemeinde) vor nichts geringerem als vor dem Altar Gottes, vor dem Thron Seiner Herrlichkeit steht! Das Bewußtsein, unmittelbar vor Gott zu stehen, müßte jeden Gottesdienstbesucher erfüllen, will er den Charakter der Heiligen Messe nicht verfehlen. Der Christ ist in der hl. Taufe berufen worden, seinen Erlöser zu lieben und zu loben. Deshalb entströmt seinem Mund jene aufrichtige Freude am Herrgott, die sein Herz erfüllt. 

“Schaff Recht mir, Gott, und führe meine Sache gegen ein unheiliges Volk; von frevelhaften und falschen Menschen rette mich.” In unserer gottfernen Welt sind wir von viel Unrecht und Schlechtigkeit umgeben, von viel Bosheit bedrängt. Wir sehnen uns nach der Befreiung aus unserer oft großen Not. Aber auf uns allein gestellt, sind wir im Kampf gegen den Widersacher Gottes und seine Helfershelfer unterlegen. Das größte Unglück aber, das einem Menschen widerfahren kann, ist, fern von Gott, getrennt von Ihm zu sein. Im Wissen um das Angewiesensein auf Gottes Hilfe richtet der Priester eine flehentliche Bitte an Gott um Seinen Beistand und Schutz! “Denn Du, o Gott, bist meine Stärke. Warum denn willst Du mich verstoßen? Was muß ich traurig gehen, weil mich der Feind bedrängt?” Gott allein ist des Menschen Zuflucht in der Not, Er allein kann ihm Hilfe bieten. “Alles vermag ich in Dem, Der mich stärkt” (Phil 4,13). Aber der Priester kommt sich inmitten all der Trübsal und Bedrängnis so verlassen vor. Er ist traurig und bestürzt, weil es so aussieht, als hätte Gott ihn im Stich gelassen. “Sende mir Dein Licht und Deine Wahrheit, daß sie zu Deinem heiligen Berg mich leiten und mich führen in Dein Zelt. Dort darf ich zum Altare Gottes treten, zu Gott, der mich erfreut von Jugend auf.” Nun konzentriert er sein ganzes Verlangen in den inständigen Ruf um Gottes Erleuchtung. Viele Hindernisse können überwunden werden, wenn der Mensch die innere Klarheit besitzt. Manches gar schwere Kreuz kann zuversichtlich getragen und manches Opfer gebracht werden, wenn einem der Sinn des Leidens aufgezeigt wird. Ohne dieses innere Licht der Erleuchtung bricht der Mensch oft schon unter der kleinsten Last zusammen. 

Häufig erfährt ein Christ Widerspruch seitens der sündigen Welt, die zentnerschwer auf ihm lastet. Dennoch besitzt er keinen Grund zur Verzweiflung; nein, sogar freuen soll er sich, da ja der Herrgott selbst ihn zu Seinem “heiligen Berg” führt, da er ja niemand geringerem als Gott selbst dienen darf! Ist denn nicht der Herr seit seiner frühesten Jugend sein Trost und seine Freude gewesen? Ist es denn nicht für uns alle die größte Gnade, das unbefleckte Opfer des Neuen Bundes auf dem “Altare Gottes” in gebührender Andacht darbringen und mitfeiern zu dürfen? Ohne diesen zentralen priesterlichen Dienst der Kirche wäre ja das neutestamentarische Priestertum unausgefüllt und letztendlich sinnlos. “Dann will ich Dich mit Harfenspiel lobpreisen, Gott, mein Gott! Wie kannst du da noch trauern, meine Seele, wie mich mit Kummer quälen? Vertrau auf Gott, ich darf Ihn wieder preisen; Er bleibt mein Heiland und mein Gott.” Der Psalm 42 ist in der babylonischen Verbannung des Volkes Israel, fern von Gottes Heiligtum in Jerusalem verfaßt worden. In dieser Situation fühlt sich der Psalmist veranlaßt, seiner tiefen Sehnsucht nach dem Erscheinen vor dem Angesicht Gottes Ausdruck zu verleihen. In der Hoffnung und im Verlangen, am Ende seiner Pilgerschaft im Hause Gottes, Dem sein ganzes Sinnen und Trachten gilt, zu stehen und somit nach der Überwindung aller Gefahren und Unsicherheiten der beschwerlichen Wanderschaft endlich das Ziel seiner Wünsche zu erreichen, bricht er buchstäblich in einen Jubelgesang der Herrlichkeit und Größe Gottes aus! 

Der Priester befindet sich wie jeder Christ ebenfalls auf einer Pilgerreise auf dem Weg zum Himmel, ins eigentliche Gelobte Land. Aber trotzdem steht er zur selben Zeit bereits schon im Heiligtum des Neuen, des himmlischen Jerusalem. Während der Liturgie erlebt er aber bereits einen Vorgeschmack der himmlischen Glückseligkeit, weil ja der Kirchenraum nichts anderes ist als "das Zelt Gottes unter den Menschen. Er wird bei ihnen wohnen. Sie werden Sein Volk sein, und Er, Gott, wird bei Ihnen sein" (Offb 21,3)!. Da stellt sich mit Recht die Frage, wie ein Christ angesichts der sich ihm in der Liturgie offenbarenden Herrlichkeit und geistigen Schönheit Gottes er überhaupt noch “Trauer” und “Kummer” empfinden kann. Soll er denn nicht wenigstens in diesem Moment die Widerwärtigkeiten des Alltags vergessen und statt dessen sich selbst ermuntern, im Vertrauen auf und in der Treue zu Gott, seinem Heiland, zu wachsen? 

Am Ende dieses Psalms fügt der Priester noch ein “Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist” an und verneigt dabei zum Zeichen der Anbetung des dreieinigen Gottes tief seinen Oberkörper. So fielen auch die “vier Wesen” und “vierundzwanzig Ältesten” der Apokalypse “vor Dem auf dem Thron Sitzenden nieder und beteten Den an, der da lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit”, indem sie Ihm “Preis, Ehre und Dank darbrachten” (vgl. Offb 4,9f.). Angesichts der Größe des Schöpfers will das Geschöpf seine Niedrigkeit auch äußerlich zum Ausdruck bringen. Dieses “Gloria” stellt durch seine häufige Wiederkehr eines der wichtigsten Bestandteile des Stundengebetes der katholischen Kirche dar. Wir alle sollen uns bemühen, inmitten der Trübsal unserer Tage im Verlangen und in der Sehnsucht nach der vollen Vereinigung mit dem Herrgott zuzunehmen und an der überirdischen Freude einer gottliebenden Seele teilzunehmen. Bei einem Requiem, einer Messe für Verstorbene in schwarzer liturgischer Farbe, sowie in der Passionszeit wird der Psalm 42 (wegen seines Freudecharakters) ausgelassen. 

 

P. Eugen Rissling
 


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