Sünde ohne Folgen?

Vor einiger Zeit erfuhr ich von einem Fall, in welchem ein junger Mensch zum überlieferten katholischen Glauben (zurück)gefunden hatte und nun auf der Suche nach seiner Bestimmung im Leben war. Er traf sich mit einem glaubenstreuen Priester und unterhielt sich mit ihm über eine ganze Reihe von wichtigen Fragen, die sowohl den katholischen Glauben insgesamt als auch die ganz konkrete Lebenssituation dieser Person betrafen. Dabei machte diese Person einen ganz normalen Eindruck - sie vertrat weder seltsame noch eigenwillige Vorstellungen noch besass sie eine ungesunde Glaubenshaltung.

Dann allerdings schlug dieser junge Mensch die ihm angebotene und bestens gemeinte Hilfe indirekt aus und ließ sich in seiner teilweisen Not zu Schritten hinreißen, die nicht nur grundsätzlich gegen gesunde Prinzipien verstoßen, sondern auch im klaren und unmissverständlichen Widerspruch zu seinem eigenen Gewissen standen, was er jenem Priester auch ausdrücklich bestätigte. Dadurch wurde, durch die konkrete Situation bedingt, auch der Kontakt zwischen den beiden abgebrochen, und der Priester hörte zunächst einmal nichts mehr von ihm.

Eines Tages aber rief diese Person bei ihm an und teilte ihm mit einer ganz normalen und ungestörten Stimme mit, dass sie sich zur Zeit ...in der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses befinde. Sie sei deswegen dorthin eingeliefert worden, weil sie kurz zuvor in einer Art von Tobsuchtsanfällen, an die sie sich selbst überhaupt nicht erinnern könne, wild um sich herum geschlagen, gotteslästerliche Flüche herumgeschrieen und Kreuze und Heiligenbilder von der Wand herab gerissen hätte. Diese Person teilte dem Priester ferner mit, sie sei von den Ärzten eingehend untersucht worden, wobei keine psychische Erkrankungen festgestellt worden seien. Daraufhin stellte sie ihm selbst die Frage, ob es sich denn in ihrem Fall um Besessenheit (durch den Teufel) oder auch „nur“ um Umsessenheit handeln könnte.

Bei der Besprechung dieser gesamten Angelegenheit wurde dem Priester seitens dieser Person auch mitgeteilt, sie hätte sich im Jugendlichenalter gelegentlich mit Satanismus beschäftigt (ohne allerdings sehr ernsthaft daran zu glauben) und einige Male spaßeshalber auch an entsprechenden satanischen Praktiken teilgenommen. Außerdem seien in ihrer Familie (in direkter Abstammungslinie) einige Fälle von bitter ernst gemeinten Verfluchungen vorgekommen!

Nun, allein aufgrund dieser Informationen und ohne diese Person genügend persönlich zu kennen, können wir natürlich nicht feststellen, ob es sich hierbei ganz sicher um einen Fall von Besessenheit handele. In solchen Fragen muss man naturgemäß sehr vorsichtig sein, wozu ja auch die katholische Kirche mit ihrer jahrhundertelangen Erfahrung dringend rät! Wir wissen auch nicht, ob diese Person vielleicht nicht doch irgendeine psychische Störung besitzt, die bisher noch niemand aufgefallen ist.
Aber man muss in diesem gesamten Zusammenhang vollständigkeitshalber unbedingt auch die Frage aufwerfen, ob denn die frühere Beschäftigung dieses jungen Menschen mit dem Satanismus und die in ihrer Familie ausgesprochenen Verfluchungen nicht auch einen entsprechenden negativen Einfluss auf die berichteten Entwicklungen hatten bzw. den gotteslästerlichen Tobsuchtsanfall wenigstens mit verursachten. Jedenfalls ist es sehr wichtig zu wissen, dass dieser junge Mensch nach diesen Ereignissen, die durch mehrere Personen bezeugt werden können, nicht mehr in der Lage war zu beten, ja nicht einmal dazu, den Namen Gottes auszusprechen bzw. an irgendeinen anderen heiligen Namen ohne inneren Spott auch nur zu denken!

Ein mir bekannter gläubiger katholischer Arzt drückte eine auf Erfahrung beruhende Wahrheit aus, als ich ihn um seine Meinung zu diesem Fall fragte, der Teufel setze mit seinem Zerstörungswerk beim Menschen vorzüglich an jenen Stellen an und nütze sie zum Schaden dieses Menschen aus, die zu den charakteristischen Schwachstellen der betreffenden Person zählen und an welchen er deswegen besonders anfällig ist. Somit ist es überhaupt nicht abwegig zu befürchten, dass jener junge Mensch unter anderem auch ein Opfer seiner eigenen früheren Spielerei mit dem Satanismus geworden sei, dass diese dunkle Macht hier auch durch die ausgesprochenen Verwünschungen sehr wohl ihr Unwesen getrieben haben könnte.

Denn auf der anderen Seite ist es ja geradezu logisch, dass die dunkle Macht Satans sehr wohl auf einen Menschen abfärbt, der sich auf welche Weise auch immer auf ihn einlässt, der ihm in seinem Inneren vielleicht „bloß“ unbewusst oder auch nur „im Spaß“ eine Art Plattform für dessen zerstörerisches Wirken bietet! (Der Teufel kennt mit uns, den Menschen, keinen Spaß!) Und es ist in dem vorliegenden Fall nicht auszuschließen, dass sich die betreffende Person durch den oben erwähnten und gegen das eigene Gewissen eingegangenen gewaltigen faulen Kompromiss selbst entscheidend geschwächt und dem Widersacher Gottes dadurch eine „günstige“ Eingriffsfläche für sein böses Treiben geboten hat.

An diesem konkreten Fall wird klar ersichtlich, dass gerade wir (mit)verantwortlich sind, ob nun in unserem Leben eine Lawine der (inneren wie äußeren) Entfremdung von Gott los getreten wird oder nicht, ob wir eben verstärkt dem Einwirken des Teufels ausgesetzt sind oder seine geistige Zerstörungswut in der Kraft und in der Gnade Gottes von uns fernhalten können. Denn wenn für ihn erst das Eis gebrochen ist und er sich an uns mit seinen Klauen im übertragenen Sinn festklammern kann, dann darf es niemand wundern, dass Dinge passieren, die schrecklich sind und uns in den seelischen Abgrund hinabstürzen!

Somit muss an dieser Stelle auch unbedingt das Thema „Sünde“ angesprochen werden. Die heutige „aufgeklärte“ und wertliberale Welt zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass sie die Sünde als solche eigentlich überhaupt nicht ernst nimmt und somit ziemlich verharmlost! Noch vor einigen Jahrzehnten musste von der katholischen Kirche vor der gefährlichen Mentalität ernsthaft gewarnt werden (die doch leider immer wieder anzutreffen war): Ich kann ja mehr oder weniger ruhig eine Sünde begehen, da ich ja morgen diese Sünde (wieder) beichten kann.

In der Gegenwart aber geht man noch einen Schritt weiter und leugnet die Existenz der Sünde praktisch gänzlich! Für die Atheisten und Materialisten gibt es keinen absoluten persönlichen Gott als eine höhere moralische Instanz, weshalb der Verweis auf die Sünde lediglich eine menschliche Erfindung sei, und man sich deshalb bei diesem ganzen Thema überhaupt nicht aufhalten sollte. Für die modernistisch-liberalen „Christen“ und „Katholiken“, die die Existenz der Sünde formal (!) noch in Betracht ziehen, werde aber eine jede Sünde kraft der alles vergebenden Liebe Christi (wie es halt dort heißt) ohne irgendeine nennenswerte Bedingung oder Vorleistung des Menschen (Reue, Buße) vergeben, weshalb man sich darüber überhaupt nicht beunruhigen sollte. Es würden ja sowieso alle Menschen in den Himmel kommen...

[Seltsamerweise begegnet man aber in diesen Kreisen dennoch mit höchster Verachtung und Ablehnung gegen alle jene, die sich der „Sünden“ schuldig gemacht haben, welche z.B. ideologiebedingt aus der Politik abgeleitet werden...]

Aber was ist überhaupt „Sünde“, wie ist aus christlicher Sicht ein richtiges Sündenverständnis zu gewinnen? Nun, zunächst wollen wir uns in aller Kürze die große Wahrheit in Erinnerung rufen, dass Gott heilig ist! Die Heiligkeit Gottes bedeutet, dass Er durch und durch gut ist und gut will - in Ihm kann es nicht den geringsten Schatten von Bosheit oder moralischer Schlechtigkeit geben.

Aber Gott ist nicht nur deswegen heilig, weil Er selbst gut ist und gut will, sondern auch, weil Er will, dass alle und alles gut sei und werde! Die Existenz Gottes ist zugleich auch ein dringender und eindringlicher Appell an eine jegliche Willensfreiheit (womit die Engel- und die Menschenwelt gemeint ist), selbst gut zu werden! Gott ist eine Art moralischer Imperativ, welcher sich an uns, Menschen, wendet und von uns in Entsprechung zu Seinem Gut-Sein kompromisslos das eigene Gut-Werden verlangt! Denn wollte Gott nicht, dass der Mensch Seinen heiligen Willen zu seiner eigenen Willenshaltung mache, würde Er nicht wirklich wollen, dass alles gut sei und werde, wäre Er schließlich nicht der wahre Gott.

Wenn nun eine menschliche Willensfreiheit ihren verkehrten Stolz bricht bzw. ihre sittliche Schwäche mit Hilfe der (auch zu erbittenden) göttlichen Gnade überwindet, um nämlich den Willen Gottes ganzheitlich zu erfüllen, dann entsteht eine Willenseinheit zwischen Gott auf der einen und dem betreffenden Menschen auf der anderen Seite. Und dadurch nimmt dann der Mensch einen ganz konkreten Anteil am Gut-Sein Gottes, dadurch wird das menschliche Geschöpf (in einem entsprechenden Maß) ebenfalls gut ...und darf sich an der Güte Gottes erfreuen! Worin soll denn letztendlich sonst noch das Paradies, das ewige Leben bestehen? Jesus Christus selbst bezeichnet die Erfüllung des göttlichen Willens als den Inbegriff der innigen Gottgemeinschaft: „Sein Gebot ist ewiges Leben“ (Joh 12,50)!

Wenn aber der Mensch (wenigstens in einem Fall) den heiligen Willen Gottes nicht zu dem seinigen macht und sich somit wissentlich und willentlich gegen ihn (bzw. gegen Ihn!) ausspricht, womit ja übrigens der Tatbestand der Sünde gegeben ist, dann will er (wenigstens im entsprechenden Umfang) eben nicht am Gut-Sein Gottes teilhaben. Er lehnt Ihn somit ab und gibt bei der konkreten Lebensentscheidung letztendlich etwas anderem als Ihm den Vorzug. Da es aber vor Gott keine Wertneutralität gibt („Wer nicht mit Mir ist, der ist wider Mich; wer nicht mit Mir sammelt, der zerstreut“, Mt 12,30), so wird der, der nicht im Sinne Gottes gut sein will, eben zum Sünder und somit moralisch schlecht - eine klare Entscheidung des Menschen!

Dadurch entsagt er aber auch der Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott und schneidet sich darüber hinaus selbst von Seiner übernatürliches ewiges Leben schaffenden Gnadenquelle ab! Und dies schwächt uns enorm in der sittlichen Auseinandersetzung mit den Mächten und Gewalten der Finsternis (vgl. Eph 6,12), in welcher wir uns hier auf Erden praktisch immer befinden. Der Mensch findet in der Folge immer weniger an sittlicher Kraft, den Versuchungen und Verlockungen des Widersachers Gottes zu widerstehen, und erliegt diesen (bzw. diesem!) umso mehr. Somit löst der Mensch selbst Schritt für Schritt eine negative Lawine aus, die er immer weniger steuern und beeinflussen kann, und die ihn dann ganz erdrückt, wenn er sich nicht in einem Kraftakt dagegen auflehnt und auf den Pfad des Heiles, auf den Weg der Befolgung des Willens Gottes zurückfindet. Ja, die Sünde ist wirklich wie ein Virus, der den ganzen Organismus schwächt ...und für weitere und noch üblere Erkrankungen anfällig macht!

Seien wir also gewarnt, was die Sünde angeht, und verharmlosen wir sie bitte nicht! Denn wer sich nicht genügend um Gottes Willen bzw. um die eigene sittliche Vollkommenheit bemüht, der spielt (auf die eine oder andere Weise) letztendlich mit Gott und verbrennt sich insofern die Finger, als dass er immer mehr in den Einflussbereich der bösen Mächte, in den verderblichen Bannkreis des Teufels gerät.

Hat es sich denn bei uns die Vorstellung, diese oder jene Sünde sei nicht so schlimm, sie werde schon irgendwie ohne Folgen bleiben, nicht schon oft als Trug erwiesen? Denn je mehr der Mensch sündigt, desto mehr gewöhnt er sich an die Sünde und desto leichter wird er dann auch dadurch (zum eigenen Verderben) in den Strudel der Schlechtigkeit und der sündhaften Leidenschaft hineingezogen. Und mit jedem weiteren sündhaften Schritt wird es auch umso schwieriger, dem geistigen Abgrund der ganzheitlichen Gottesferne zu entrinnen!

Und nicht selten wirken sich so manche der Sünden und sittlichen Verfehlungen auf den Sünder auf eine Art und Weise negativ aus, an die er vorher nicht hätte denken wollen, wie er es sich auch in seinen Albträumen nicht hätte vorstellen können. Oder sie suchen ihn heim und kommen auf ihn wie ein Boomerang zu einer Zeit zurück, zu welcher er überhaupt nicht mehr daran denkt oder sich der Vorstellung hingibt, alles sei längst vorbei. Ja, die Sünde ist wahrhaftig wie eine Schlinge, die man sich selbst um den Hals legt, ...und deren Folgen sich auch noch viel später als lebensbedrohlich erweisen können!

Oder es werden von der Sünde Menschen betroffen (und müssen teilweise sogar gewaltig darunter leiden!), die nichts damit zu tun haben oder (wenigstens diese Angelegenheit betreffend) völlig unschuldig sind. Gibt es denn nicht genug Fälle, in welchen z.B. die Kinder teilweise ein Leben lang unter der Scheidung ihrer Eltern leiden, unter der Tatsache, dass sie keine harmonische Familie haben? Mir ist ein Fall persönlich bekannt, in welchem eine sonst völlig gesunde und aufgeweckte junge Frau nicht darüber hinweg gekommen ist, dass ihre Eltern auseinandergingen und sie in der Kindheit keine väterliche Liebe erfahren konnte. Und dieses Trauma ging für sie so weit, dass sie schlimmste seelische Störungen davon trug. Und dies ist nur ein Beispiel und ein Bereich.

Nein, der Mensch findet nur dann zu seiner tieferen Bestimmung und blüht geistig gewissermaßen auf, wenn er sein leidendes und aufgewühltes Herz für den Herrgott öffnet und sich willentlich und absichtlich Ihm unterstellt. Denn Er ist der eigentliche Hirt der Seele, der unsere (uns durch die eigene oder auch fremde Sünde zugefügten) Wunden der Seele heilen und uns den wahren Frieden des Herzens geben kann! Er streckt ja uns auch ständig Seine rettende und erlösende Hand entgegen und wartet nur darauf, dass wir wie der verlorene Sohn des Evangeliums (vgl. Lk 15, 11-24) eine innere Umkehr vollziehen und zum Vaterhaus zurückkehren. Und wie groß ist dabei auch und gerade die Freude des Vaters über die Heimkehr seines verlorenen Sohnes, denn dieser „war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden“ (Lk 15,24.32)!


P. Eugen Rissling


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