Grund des Glaubens?


Aus dem Mittelalter zur Zeit des Königs Ludwig VI. wird über einen Missionar überliefert, der Bischof war und sich von Frankreich aus auf einer Reise auf die britische Insel befand. Unterwegs begegnete er einer Frau und unterhielt sich mit ihr über einige Glaubensfragen. Offensichtlich ging es dabei auch um das Leben nach dem Tod und die letzten Dinge. Denn die Frau machte auf die Erläuterungen des Bischofs hin eine seltsame Bemerkung, indem sie Feuer für den Himmel und Wasser für die Hölle wünschte.

Nun, wenn man diesen Wunsch hört, kommt in einem gleich die Frage auf, wie denn dies gemeint sei, was die Frau damit sagen wollte. Man kann nicht verhehlen, dass sich einem auch die Frage stellt, ob denn diese Bemerkung nicht eventuell eine Häresie oder sogar eine Apostasie in sich birgt, indem hier etwa die Verkehrung von Himmel und Hölle gewünscht oder wenigstens die Abschaffung des Lohns für gute Taten und der Strafe für böse Taten postuliert werde.

Nun, diese Frau wollte nichts dergleichen zum Ausdruck bringen. Die Lösung des so genannten Rätsels besteht darin, dass sie sich wünschte, die Menschen, die Christen mögen den katholischen Glauben uneigennützig pflegen und praktizieren, ohne dass sie immer nur nach dem Lohn dafür fragen bzw. das sittlich Verwerfliche, die Sünden, lediglich aus Furcht vor der Bestrafung durch Gott meiden. Gott selbst möge bei den Gläubigen in den Mittelpunkt ihres Glaubenslebens treten und nicht ständig hauptsächlich die Frage, ob man denn für dies oder für jenes belohnt oder bestraft würde.

So geißelt ja auch schon Jesus selbst in den Evangelien die verkehrte Haltung jener „Heuchler“, welche zwar den Armen ein Almosen geben, aber dies dann „in den Synagogen und auf den Straßen“ ausposaunen, „um von den Menschen geehrt zu werden“ (Mt 6,2). Dieselben „Heuchler“ machen auch ein „finsteres Gesicht“ und „geben sich ein düsteres Aussehen, damit die Leute es ihnen ansehen, dass sie fasten“ (Mt 6,16), und sie dann natürlich für besonders fromm halten.

Nein, Jesus Christus lehrt uns unmissverständlich, „dass ihr eure Gerechtigkeit nicht vor den Menschen übt, um euch vor ihnen zur Schau zu stellen“ (Mt 6,1)! Sowohl das Almosengeben soll „im Verborgenen“ bleiben, als auch soll man sich das „Haupt“ salben und das „Antlitz“ waschen, wenn man fastet, „damit die Leute nicht sehen, dass du fastest“ - unsere Gerechtigkeit soll von uns letztendlich einzig und allein um Gottes und Seiner Liebe willen praktiziert werden! Weder der Gedanke an die Anerkennung und den Lob seitens der Menschen noch der an den Lohn in der Ewigkeit darf für uns das ausschlaggebende Motiv für unsere Handlungen sein!

 Außerdem gibt es bei uns, den Menschen, noch eine ganze Reihe anderer Motive, welche eine mangel- und fehlerhafte Gläubigkeit widerspiegeln und somit unzulässige Gründe für die christliche Glaubenshaltung darstellen. In allen diesen Fällen wird in erster Linie nicht Gott gesucht und Seine „Gerechtigkeit“ (vgl. Mt 6,33), sondern letztendlich der persönliche Vorteil des Menschen, in welchem Gewand auch immer sich dies nach außen präsentieren sollte.

So ist es z.B. nicht hinreichend zu sagen, man sei gläubig, um in den Himmel zu kommen, weil man für sich nach dem Ableben auf Erden eben die himmlischen Freuden erhofft, ein besseres Dasein wünscht. Zwar ist es natürlich ganz richtig und völlig unumstößlich, dass der liebe Gott gerecht ist und somit den Menschen für seine guten Taten auch entsprechend belohnt. So sagt ja auch Christus: „Wer einem von diesen geringen Leuten hier nur einen Becher frischen Wassers zu trinken gibt, [...] fürwahr, Ich sage euch: Er wird seines Lohnes nicht verlustig gehen“ (Mt 10,42).

Nur darf wiederum der Gedanke an diesen gerechten Lohn letztendlich nicht ursächlich sein für unsere Religiosität! Denn sonst sieht es so aus, als würden wir nur wegen der Aussicht auf das ewige Leben, hauptsächlich wegen der Belohnung in der Ewigkeit gläubig und fromm sein. In diesem Fall würde es uns nämlich nicht unbedingt um Gott und den Glauben gehen, sondern unsere Gläubigkeit wäre nur ein Instrument, nur ein Mittelding zur Erlangung anderer, egoistischer (End)ziele. Somit würde hier nicht Gott im Zentrum unseres Glaubens stehen - Er würde sich gewissermaßen lediglich im Dienste unserer persönlichen Eigennützigkeit befinden, damit es uns als einem Individuum eben gut gehe in der Ewigkeit! Und das kann sicherlich kein legitimer Grund unseres Glaubens sein.

Auch ist ja in der Menschheit jene Einstellung zur Religion nicht unbekannt, wonach man sich Gott doch eher nur an schlechten Tagen (bewusst) zuwendet. Wenn es einem gut geht, man keine nennenswerte Not leidet, und kein gewichtiges Problem auf einem lastet, vergisst man gewissermaßen den Herrgott (und scheut sich vielleicht sogar, Ihn in den Mund zu nehmen bzw. sich als einen überzeugten Christen zu bekennen). Man lebt sein Leben und denkt nicht intensiv genug an Ihn.

Wenn aber ein Kreuz welcher Art auch immer über einen hereinbricht, wenn der Mensch nach menschlichem Ermessen selbst keinen Ausweg mehr aus der entstandenen schwierigen Situation sieht und findet, wenn man in (berechtigter) Sorge ist um jemand oder um etwas, erinnert man sich plötzlich an den lieben Gott und bittet Ihn um Hilfe in der betreffenden Not. So verhielt es sich z.B. unmittelbar vor dem ersten Irakkrieg Anfang der 90-er Jahre, als plötzlich Menschen aus Furcht vor den bevorstehenden kriegerischen Auseinandersetzungen in Kirchen zu sehen waren, die sie aber zuvor kaum jemals von innen kannten.

Damit man nicht falsch verstanden wird: Selbstverständlich ist es gut und richtig, dass sich die Menschen in ihrer Not an den Herrgott wenden; natürlich ist es äußerst wünschenswert, dass sie (wenigstens!) dann an Ihn denken und Ihn um Seine Hilfe angehen, wenn es ihnen schlecht geht und sie ihre geistige wie physische Gebrechlichkeit sozusagen selbst bitter am eigenen Leib erfahren. Ist ja auch der liebe Gott ohne jeden Zweifel die Quelle des Heiles, der Gnade und der Barmherzigkeit, sagt ja der göttliche Erlöser selbst ausdrücklich: „Kommt alle zu Mir, die ihr mühselig und beladen seid; Ich will euch erquicken“ (Mt 11,28)!

Trotzdem muss gesagt werden, dass diese Art der Religionspraxis alles andere ist als ideal oder erstrebenswert. Denn hier sieht es so aus, als würde man sich Seiner nur an schlechten Tagen besinnen, als würde Er für einen nur in einer Notsituation von Bedeutung sein, als würde Er sonst aber kaum eine Rolle im Leben des betreffenden Menschen spielen. Kommt es ja auch nicht selten vor, dass man nach der Erlangung der erhofften und erbetenen Hilfe Seiner wieder mehr oder weniger vergisst und sozusagen erneut weitestgehend „gottesscheu“ wird! Ließe man doch nur einen andauernden Effekt zu...

In diesem Fall setzt man Gott und den Glauben wiederum lediglich wie ein Mittel zum Zweck ein. Man instrumentalisiert diesmal einseitig das Gebet, auch wenn es dabei an sich natürlich um ein berechtigtes Anliegen geht: um die Rettung aus oder die Bewahrung vor einer Not. Aber dennoch darf die christliche Religion nicht praktisch wie z.B. eine Schmerzpille betrachtet und „eingesetzt“ werden, welche man nur zum Zweck der Linderung irgendwelcher Leiden einnimmt. Denn es ist in diesem Fall nicht genug an einem andauernden und ehrlichen Interesse an Gott und der christlichen Religion vorhanden; man zeigt sich an Ihm nicht um Seiner selbst willen interessiert, sondern gebraucht Ihn wiederum gewissermaßen nur für die Zwecke des persönlichen Wohlergehens!

Kürzlich wurde in einem Medienbericht erzählt, wie einige der Prominenten in Deutschland zum Thema „Gott und der Glaube“ stehen, wie viel ihnen die Religion gibt. Ja, hieß es dann von den Betroffenen, der Glaube sei ihnen schon sehr wichtig, dadurch schöpften sie stets neue Kraft sowohl für den Alltag als auch für ihre berufliche Tätigkeit (als Schauspieler oder Moderatoren), dadurch würden sie ständig inspiriert zu neuen Leistungen, durch den Glauben an eine wie auch immer beschaffene höhere Macht würden sie trotz der Unruhe um sie herum immer wieder die innere Harmonie und die persönliche Ausgeglichenheit erlangen.

Nun, zunächst wird hier nicht geklärt, was sich diese so genannten Promis genau unter den Begriffen „Gott“ und „Glaube“ vorstellen und wie sie jene „höhere Macht“ definieren. Es klang nämlich deutlich heraus, dass es sich bei ihnen dabei bei weitem nicht um den christlichen Gottesbegriff handelt. Denn von Gott als einem persönlichen Wesen und absoluten sittlichen (und sittlich fordernden!) Willen war nicht einmal andeutungsweise die Rede. In einem Fall konnte eine der Schauspielerinnen nicht einmal entfernteste Angaben machen, was sie sich unter „Gott“ vorstellt.

Ferner klingen alle diese Vokabeln („innere Harmonie“, „persönliche Ausgeglichenheit“, „Inspiration“ usw.) viel zu sehr nach Esoterik - mit anderen Worten nach nicht weiter definierbarer, einseitiger und übertriebener Gefühlsduselei!

Und vor allem ist in unserem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass hier „Gott“ und die Religion wiederum im Dienste des rein persönlichen Wohlergehens eines Menschen zu stehen scheinen! Selbstverständlich ist mit einer aufrichtigen Gottesbeziehung wie von selbst der innere Friede der Seele, die Ruhe des Herzens oder die Ausgeglichenheit in Gott verbunden - anders kann es überhaupt nicht sein! Denn je mehr und je intensiver sich eine menschliche Seele dem Herrgott gegenüber öffnet, desto größer wird auch das Maß der Liebe und des Friedens sein, welche Gott diesem Menschen schenkt: „Kein Auge hat je gesehen, kein Ohr hat je gehört, kein Menschenherz hat je gedacht, was Gott denen bereitet, die Ihn lieben“ (1 Kor 2,9)!

Nur dürfen wiederum nicht die Auswirkungen der Gottesbeziehung auf den Menschen von diesem insofern über die Gottesbeziehung selbst gestellt werden, dass er den Glauben an Gott und die christlich-katholischen Religion insgesamt lediglich zum Zweck des Erlangens des inneren Wohlbehagens gebraucht ...und somit auch missbraucht!

 Nein, im Christentum geht es in erster Linie um Gott selbst, um eine ehrliche und aufrichtige Hinwendung des Menschen an seinen Schöpfer und Erlöser. Und zwar soll diese Hinwendung nicht wegen der so genannten positiven „Begleiterscheinungen“ dieser Gottesbeziehung bzw. wegen der geistigen Früchte des Heilswirken Gottes erfolgen, sondern um Gottes selbst willen, wegen Seiner geistigen Größe, Güte, Heiligkeit und Liebe - weil Gott eben Gott ist! Denn nur ER ist sowohl der Mittel- und Höhepunkt des christlichen Glaubensbekenntnisses als auch dessen hauptsächlichster Inhalt - dies dürfen wir nie vergessen oder auch nur irgendwie außer Acht lassen! Bezeichnenderweise geht es ja im ersten und entscheidenden Gebot Gottes, welches ja von Christus ausdrücklich eingeschärft wird, um nichts anderes als um eine solche aufrichtige Zuwendung des Menschen an Gott: „Du sollst den Herr, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Gemüt“ (Mt 22,37)!

Und ein Beispiel dieser Liebe, wie sie eben beschaffen sein sollte, hat uns Jesus Christus selbst hinterlassen, als Er sich für uns hat freiwillig und uneigennützig martern und kreuzigen lassen. Denn - menschlich gesprochen - hat Er ja durch das, was Er für uns getan und gewirkt hatte, nicht den geringsten Vorteil für Sich „herausgeschlagen“, keinen persönlichen Profit erzielt. Ein kurzer Blick auf den gekreuzigten Heiland genügt, um dies festzustellen.

Aber Jesus Christus, der Gottmensch, hat durch Sein Heilswirken, durch die Erlösung des Menschengeschlechtes, nicht nur keinen Vorteil für Sich erlangt, sondern Er hat dadurch Sich - wiederum rein menschlich gesprochen - darüber hinaus sogar das allergrößte Problem „eingebrockt“, wie es von uns, Menschen, gesehen und empfunden wird: Verfolgung, Verleumdung, Schmerzen, Kreuzigung, Gottverlassenheit, Tod. Zwar soll die Ehre, die die Menschen Gott entgegenbringen, ohne jeglichen Zweifel stets wachsen und zunehmen. Da aber Gott in Sich unendlich und somit sozusagen unüberbietbar heilig ist, kann seine innere Vollkommenheit durch unsere gesamte Verehrung dennoch nicht (noch weiter) vergrößert werden.

Und diese Liebe des göttlichen Erlösers, diese Seine geistige Größe soll auf der einen Seite sowohl der hauptsächlichste als auch der entscheidendste Grund für unsere Gottesgläubigkeit sein und auf der anderen Seite für uns den einzig gültigen Maßstab für die Beschaffenheit und Qualität unserer Zuwendung zu Ihm - unserer Gottesbeziehung - bilden: „Nehmt Gott zum Vorbild als seine geliebten Kinder. Wandelt in der Liebe, wie auch Christus euch geliebt und Sich für uns als Opfergabe hingegeben hat, Gott zum lieblichen Wohlgeruch“ (Eph 5,1f.)!

Wollen somit auch wir versuchen, unser inneres Auge auf die geistige Schönheit Gottes zu richten, seine Herrlichkeit zu erblicken, um dann auch in Seine uneigennützige und selbstlose Liebe einzutauchen: „Wie lieblich sind deine Gezelte, o Herr der Heerschaaren! Meine Seele hat sich gesehnt, ja verzehrt nach den Höfen des Herrn. Mein Herz und mein Leib jubelten dem lebendigen Gott zu“ (Ps 83,2f)!

P. Eugen Rissling


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