Die teuflische List


Teil 1

Am ersten Sonntag in der Fastenzeit wird im Evangelium der Heiligen Messe jener Abschnitt aus dem Matthäusevangelium vorgetragen, in dem es um die drei Versuchungen Jesu Christi in der Wüste geht (vgl. Mt 4,1-11). Es wird berichtet, wie der Versucher an Jesus herantrat, nachdem „Er vierzig Tage und vierzig Nächte fastete“. Indem also uns, den Gläubigen, dadurch in Erinnerung gerufen wird, dass sich (auch) der göttliche Erlöser Seiner menschlichen Natur nach bewähren musste, werden wir ermahnt, die begonnene Fastenzeit (ebenfalls) als eine Zeit der Buße und der Bewährung anzusehen und die Einschränkungen, die sie in Speise und im Verhalten mit sich bringt, tapfer im Geiste eines Jüngers Jesu Christi auf sich zu nehmen. 

Aber dieser Abschnitt des Evangeliums beinhaltet viel mehr als nur den Aufruf zur Buße an das christliche Volk. Es geht hier nämlich auch und vor allem um die Psychologie der teuflischen List. Schaut man genau hin, erkennt man, welche Taktik der Teufel jeweils anwendet, um Christus zu Fall zu bringen und in seinen eigenen Bann zu führen. Die Analyse der Versuchungen Jesu durch den Teufel kann demnach auch für uns sehr aufschlussreich sein und uns die notwendigen Hinweise liefern, wie der Versucher ansetzt, um ebenfalls die Glaubensfestigkeit eines Jüngers Jesu Christi zu brechen. Ohne Zweifel ließen sich mehrere Themen ansprechen, die mit diesen Versuchungen Jesu berührt wurden. Dennoch wollen wir uns im Rahmen dieser Ausführungen hauptsächlich darauf beschränken, auf die Verschlagenheit des Versuchers hinzuweisen, seiner sprichwörtlichen teuflischen List wollen wir hier unsere besondere Aufmerksamkeit schenken. 

Zunächst versucht der Teufel, Jesus durch den Hinweis auf natürliche Bedürfnisse zu packen. Jesus hat lang gefastet und empfindet demnach einen großen Hunger. Deswegen wird Ihm nahe gelegt: „Bist Du Gottes Sohn, so befiehl, dass die Steine da zu Brot werden“ (Mt 4,3). Der Teufel präsentiert sich hier als der große Freund Christi und will durch besondere Menschenfreundlichkeit auffallen. Er will den Eindruck erwecken, als sei er wirklich um das Wohlergehen Christi besorgt. Es müsste doch Ihm als Gottes Sohn keine Schwierigkeiten bereiten, Steine zu Brot werden zu lassen, um dann damit endlich Seinen Hunger stillen zu können. Sonst könnte Er vielleicht noch ganz entkräften und irgendeinen Schaden erleiden. 

Die Antwort Jesu, die Dt 8,3 entnommen ist, lässt aber erkennen, worin die Scheinheiligkeit des Teufels besteht: „Es steht geschrieben: der Mensch lebt nicht von Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kommt“ (Mt 4,4). Offensichtlich kann es also Situationen geben, in denen die sonst natürlichen und sittlich neutralen Bedürfnisse des Menschen entweder im Widerstreit zum Willen Gottes oder zum Gebot der Stunde stehen, was letztendlich auf dasselbe hinausläuft. Es kann bisweilen dazu kommen, dass man sich um eines Höheren willen (!) beschränken muss, den natürlichen Bedürfnissen nachzugehen und nachzugeben. In diesen sogenannten Konfliktfällen muss man sich halt entscheiden, was für einen wichtiger und gewichtiger ist. 

Da es nämlich Zeiten gibt, in denen man fastet, und wiederum Zeiten, in denen man sich als „Hochzeitsgast“ mit dem „Bräutigam“ freut, kann sowohl die Freude zur falschen Zeit auf der einen als auch das Fasten und die Trauer auf der anderen Seite dem Willen Gottes widersprechen (vgl. Mt 9,14f.). Denn auch jene drei Apostel, die einschliefen, während Jesus Todesangst im Garten Gethsemani litt, werden ja von Ihm gerade deshalb getadelt, weil sie nicht den Ernst der Lage, in der sich Jesus befand, begriffen und zusammen mit Ihm gewacht und gebetet haben! Vor allem aber will der Teufel mittels dieser, wie es sich sofort herausstellen wird, einseitigen Betonung der natürlichen Bedürfnisse der Menschen deren Blick für das Übernatürliche trüben! Eine andere Stelle desselben Evangeliums lässt deutlich erkennen, welchen scharfe Kritik Jesus am Teufel mit der Abweisung dessen ersten Versuchung verbindet. In der Bergpredigt warnt Er nämlich eindringlich vor der übertriebenen Sorge um die zeitlichen Güter (Mt 6,19-34). Die Gedankenwelt des Menschen darf eben nicht von der Angst beherrscht werden, nicht genug zum Essen, Trinken und Kleiden zu haben. Zwar bedarf der Mensch mehr oder weniger auch dieser Güter, aber zu viel Konzentration auf die täglichen Bedarfsgegenstände kann ihn sehr leicht vom Blick für das Wesentliche im Leben ablenken. Der Tadel, den Martha, die Schwester der Maria, verdient hat, wird ja von Jesus gerade damit begründet, dass sie „sich viel zu schaffen machte mit der Bedienung“, mit der Bewirtung des während der Wanderung in ihr Haus eingekehrten Jesus (vgl. Lk 10,38-42). 

Erfüllt die ängstliche und eindeutig übertriebene Sorge um die Stillung natürlicher Bedürfnisse das Herz des Menschen, versperrt er sein Inneres für den Segen und die Gnadenwirkung Gottes. „Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz“ (6,20f.). Der Mensch muss sich eben entscheiden, wodurch er hauptsächlich sein Leben prägen lassen will, beides zugleich geht nicht: „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“ (6,24). Nein, man soll sich „Schätze im Himmel“ sammeln, die im Unterschied zu zeitlichen Gütern durch nichts jemals ihren Wert verlieren werden! Nach diesen irdischen Gütern „trachten die Heiden. Euer himmlischer Vater weiß ja, dass ihr dies alles nötig habt. Sucht vielmehr zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, und dies alles wird euch hinzugegeben werden“ (6,33)! 

Indem also der Teufel Jesus nahe legt, Steine zu Brot werden zu lassen, will er in Ihm (als Menschen) diese übertriebene Sorge um die zeitlichen Güter wecken. Dadurch erhofft er sich dann, dass sich bei Jesus die damit notwendig einhergehende Schwächung des Vertrauens auf Gott einstellt. Und dann ist es nicht mehr sehr weit bis zur völligen Außerkraftsetzung bzw. Vernichtung jener drei sogenannten göttlichen Tugenden, die überzeugtes und lebendiges Christsein ausmachen: Glaube, Hoffnung und Liebe! Und dies alles unter dem Vorwand der Besorgnis um das Wohlergehen Jesu... 

Noch ein Punkt charakterisiert die teuflische Verschlagenheit des Versuchers. Bezeichnenderweise leitet er seine (erste) Versuchung mit der Formel ein: „Bist Du Gottes Sohn...“. Dies ist so formuliert, dass er weder die hohe Würde Jesu, Seine Gottessohnschaft, direkt ablehnt noch sie ausdrücklich bejaht. Er lässt diese Frage bewusst offen. Er spekuliert nämlich auf den vermeintlichen Ehrgeiz Jesu. Müsste es doch seiner Meinung nach Jesus reizen und drängen, Sich als den zu präsentieren und zu beweisen, der Er wirklich ist. Darin würde ja bei Jesus auch keine Unsittlichkeit liegen. Ist Er denn nicht gerade deshalb in diese Welt gekommen, um als göttlicher Erlöser erkannt und anerkannt zu werden? 

Geht also Jesus nach der Logik des Teufels auf seine Aufforderung ein, durch ein Wunder Steine zu Brot werden zu lassen, würde Er in der Situation, wie sie vorgegeben war, zunächst zu viel Gewicht der Sorge ums zeitliche Wohlergehen schenken. Und dies sollte dann, wie oben dargelegt, über die damit verbundene Schwächung der Glaubenskraft und die Vernachlässigung der Rolle Gottes im eigenen Leben zum möglichst gänzliche Abfall von Gott führen! Damit hätte er aber auch schon sein Ziel erreicht, das er sich mit diesen Versuchungen letztendlich gesetzt hatte: die Verhinderung, die Vereitelung des Heilswirkens Gottes in dieser Welt! 

Unterschätzen wir bitte nicht die Gefahr, die bereits von dieser ersten Versuchung sowohl für Jesus selbst als auch in der Folge für uns alle ausging. Hätte sich Jesus nach der Vorstellung des Teufels unüberlegt hinreißen lassen vom sonst für Ihn berechtigten Interesse, von Menschen um ihres eigenen ewigen Heils willen als Gottessohn erkannt und verehrt zu werden, wäre Er nicht nur irgendwie an der Peripherie in die Berührung mit der Sünde gekommen, sondern hätte sich vollends in Unsittlichkeit verstrickt, ja nicht zuletzt Sich selbst als solchen wesensmäßig aufgehoben! Dann wäre Gott nicht mehr Gott, dann würde es keine unantastbare und für alle gleichermaßen verbindliche moralisch Instanz mehr geben - dann hätte der Teufel sein Spiel gewonnen! 

Und die List des Teufels besteht ebenfalls darin, dass er Jesus mit seiner Versuchung gerade zu dem Zeitpunkt konfrontiert, in welchem Er durch Hunger geschwächt und deshalb um so mehr auf Nahrung angewiesen ist. In gewissem Sinn will er um so frecher und brutaler die vermeintliche Schwachstelle Jesu ausnutzen. Hinter dem Anschein eines humanen Zeitgenossen, der sich ja angeblich um das Wohlergehen Jesu sorge, versteckt sich nichts anderes als der boshafte Wille, Jesus Seiner menschlichen Natur nach von Gott abzubringen, einen unüberbrückbaren Bruch zwischen beiden herbeizuführen, letztendlich Gott zu vernichten! 

 

P. Eugen Rissling

 

 

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