„Und führe uns nicht in Versuchung“ – falsch übersetzt?

■ Gegen Ende 2017 kam eine Nachricht aus dem Vatikan, die auch in der weltlichen Presse nicht überall auf volles Verständnis stieß und sogar auch da für manches Kopfschütteln sorgte. So heißt es nämlich in einem Artikel von Lukas Wiegelmann (www.welt.de vom 08.12.2017): „Papst Franziskus hat die deutsche Übersetzung des Vaterunser kritisiert. Er stört sich am Vers ‚Und führe uns nicht in Versuchung‘. Nun droht die Änderung. Dabei ist der griechische Text eindeutig.
…Seit einigen Wochen läuft eine Debatte in der katholischen Kirche, ob das Gebet, immerhin einer der bekanntesten Texte aller Zeiten, nicht langsam mal geändert werden müsse, um modernen Empfindlichkeiten besser zu entsprechen.“ So griff nun also dieser Franziskus selbst in die Diskussion ein und bemängelte eben den uns bekannten Wortlaut dieser 6. Bitte des Vaterunsers. Die betreffende Kritik besteht nämlich darin, dass die bisherige Formulierung so verstanden werden könnte, als ob Gott die Menschen aktiv in die Versuchung führen würde.
Da Er aber das Gute schlechthin ist, könne Er eben solches nicht tun, so das Argument. In Versuchung führe die Menschen aktiv nur der Teufel: „‘Lass mich nicht in Versuchung geraten‘, wäre besser, so Franziskus. ‚Ich bin es, der fällt, aber es ist nicht er (Gott – Anm.), der mich in Versuchung geraten lässt.‘ Ein Vater mache so etwas nicht. ‚Ein Vater hilft, sofort wieder aufzustehen. Wer dich in Versuchung führt, ist Satan.‘“
Klingen diese Worte nicht plausibel? So haben dann auch einige der Amtsträger der „Konzilskirche“ dem zugestimmt. Dennoch haben dann auch etliche der betreffenden deutschen Bischöfe gesagt, sie verstünden zwar das Anliegen ihres „Papstes“, an der bisherigen deutschen Formulierung solle nichts geändert werden. Hat also Bergoglio etwas eher oberflächlich dahingeschwatzt?
■ Nun, erstens veranlasst uns diese ganze Geschichte dazu, die ernste Frage zu stellen, warum man denn die ganze Zeit, seit es die deutsche Übersetzung des Neuen Testaments gibt, in deutschen Landen nie auf die „glorreiche“ Idee gekommen ist, irgendetwas auszusetzen an dieser Formulierung bzw. sie verändern zu sollen. Vielleicht hat man sowohl in der deutschen kirchlichen Tradition als auch in der Kirche generell von Anfang an den betreffenden Text doch ganz einfach richtig verstanden bzw. in einem solchen glaubenskonformen Sinn ausgelegt, dass man nicht auf die absurde und höchst abwegige Idee gekommen ist zu befürchten, Gott könnte da beim Beten der betreffenden Bitte eventuell irgendwie sogar mit „Satan“ verwechselt werden!
Also keimt in einem am katholischen Glauben ernsthaft interessierten Menschen schon in diesem Stadium der Analyse die Befürchtung, diese ganze Aufregung könnte als Quelle letzten Endes eine von der berühmten modernistischen „Phasenverschiebung“ herrührende nicht katholische Mentalität haben. Lässt man ja da in vielen Fällen das gesamte Ganze des Glaubens außer Acht und spielt sich dann zwar als sogenannte „kirchenkritische Experten“ auf, betreibt aber dennoch Theologie auf eine sehr unausgewogene und somit ziemlich unreife Weise. Wenn man sich dann der sachlichen Analyse der betreffenden theologischen Frage selbst zuwendet, lässt sich der gerade geäußerte Verdacht leider tatsächlich bestätigen!
Fragt man nach dem altgriechischen Originaltext, so lässt er keine Fragen offen, wie es im betreffenden Artikel heißt: „Thomas Söding, Professor für Neues Testament an der Ruhr-Universität Bochum, hat gerade noch einmal in der Zeitschrift ‚Christ in der Gegenwart‘ ausgeführt, dass das entscheidende Verb auf Deutsch eindeutig ‚hineintragen, hineinbringen‘ heiße. Das Objekt, Gott, trägt die Menschen in etwas hinein, und zwar – eingeleitet durch die griechische Präposition ‚eis‘ (zu, hin) – in die Versuchung. ‚Versuchung‘ steht im Akkusativ, ist also grammatikalisch als Ziel dieser Bewegung, dieses Hineintragens gekennzeichnet. ‚Bei Matthäus und bei Lukas steht exakt dieselbe Wendung; sie geht auf die Logienquelle zurück, die älteste Sammlung von Jesusworten‘, so Söding. Der Sinn sei ‚unzweideutig‘.“
Analog heißt es dann auch in der amtlich-kirchlichen lateinischen Vulgata-Übersetzung: „Et ne nos inducas in tentationem“ – „Und führe uns nicht in Versuchung“. Also hat nicht nur Jesus Christus tatsächlich diese und keine anderen Worte gesprochen, als Er nämlich die Jünger auf ihre Bitte hin das Vaterunser zu beten gelehrt hat (vgl. Lk 11,1-4, Mt 6, 9-13). Nein, auch die Kirche hat diese geheiligten Worte nicht etwa im Sinn eines Jorge Mario Bergoglio missverstanden, sondern sehr wohl den richtigen Sinn dieser Bitte erschlossen und uns somit die Intention vorgegeben, mit welcher wir dann entsprechend beten sollen.
Interessant ist, dass sogar auch in den allerneuesten deutschen Übersetzungen des Neuen Testaments, die der Feder „fortschrittlicher“ Theologen entstammen, diese Stelle unverändert blieb. So heißt es im betreffenden Artikel: „Spricht man mit Wissenschaftlern, die an der erst im vergangenen Jahr erschienenen Revision der katholischen Einheitsübersetzung mitgearbeitet haben, ist zu hören, dass eine mögliche Überarbeitung des Vaterunser jedenfalls nie diskutiert wurde. So wie übrigens auch die ebenfalls 2016 erschienene neue Lutherbibel beim gewohnten Wortlaut blieb. Auch dort heißt es bisher: ‚Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.‘“
Daraus zieht der betreffende Autor die vielsagende Schlussfolgerung: „Eine Änderung der Übersetzung im Deutschen hätte also eher theologische Gründe, keine sprachlichen.“ Also geht es dem „Papst Franziskus“ mit seiner Kritik und seinem Korrekturvorschlag allem Anschein nach doch um eine bestimmte neue Idee, die da in den Herzen der Gläubigen Raum gewinnen soll. Und das lässt uns auf dem Hintergrund so vieler modernistischer „Verbesserungen“ seit dem Vatikanum II. von selbst aufhorchen bzw. aufschrecken!
■ Sicher wird dem richtigen Verständnis dieser Bitte auch die Erinnerung an eine grundsätzliche Unterscheidung dienlich sein, die die Kirche sonst vornimmt. So sagt die Kirche, dass man in Bezug auf den Glauben an Gott generell die sehr wichtige Differenzierung vornehmen muss – nämlich zwischen einem sündhaften, destruktiven und einem nicht sündhaften, konstruktiven Zweifel. Im ersten Fall bekommt und unterhält jemand ganz bewusst (also in einem willentlichen Akt!) Zweifel an der Existenz Gottes und Seinen wesentlichen Eigenschaften, um eben Argumente zu finden, welche zur Leugnung des Glaubens an Gott als solchen führen sollten. Da eine solche Fragestellung nicht auf die Erkenntnis der Wahrheit ausgerichtet ist bzw. zum Ziel hat, sondern schlussendlich die scheinbar rationale Leugnung der Ratio bezweckt, sind solche destruktiven Zweifel eindeutig unmoralisch und stellen eine schwere Sünde dar! Man setzt die Mittel des Verstandes ein, um letzten Endes und absurderweise Gott als die absolute Wahrheit ablehnen zu „dürfen“.
Dagegen können sog. konstruktive Zweifel sogar helfen! Denn hier stellt der Mensch zwar auch dieselbe generelle Frage „Warum?“ (z.B. in Bezug auf Gott und Seine wesentlichen Eigenschaften), aber er tut dies in der ausdrücklichen Absicht, den Glauben mit den Mitteln des Verstandes zu verstehen und dann u.a. auch Argumente zu seiner Verteidigung zu finden.
Entwächst ja jeder Mensch irgendwann dem Kindesalter und somit auch einem kindlichen Glauben an Gott. Spätestens in der Jugendzeit hinterfragt ein junger Mensch sowohl den Glauben generell als auch seine einzelnen Punkte reflexiv und möchte somit die Glaubensmysterien wie möglich eben ausdrücklich verstehen. Solche konstruktiven Zweifel sind nicht nur erlaubt – sie können unter Umständen sogar helfen, damit der Mensch zu einem vernunftgemäßen Glauben und moralischen Handeln finden kann.
Wenn wir diese grundsätzliche Unterscheidung auf das hier konkret erörterte Thema übertragen, muss man konstatieren, dass Gott sehr wohl zulassen kann (was auch ein aktives Handeln Gottes beinhaltet!), dass ein Mensch einer Art Prüfung unterworfen werde, damit er sich eben bewähren könne! Woher sollte man es denn sonst wissen, ob die theoretische Einstellung des Menschen auch die entsprechende praktische Prüfung besteht und somit nicht nur aus leeren Worten besteht.
Ein Vater, der seinem Kind z.B. das Radfahren beibringen möchte, hält zwar in der Regel zunächst den Sattel, auf welchem sein von ihm heißgeliebtes Kind sitzt. Aber irgendwann lässt er eben diesen Fahrradsattel los (und rennt zu Absicherungszwecken neben dem Fahrrad fahrenden Kind mit), damit sein Kind eben das Radfahren lerne und somit es dann wirklich könne! Und es wäre ja absurd, ungerecht und höchst unvernünftig, einen solchen Vater dafür zu tadeln und ihm etwa mangelnde Vaterliebe vorzuwerfen, weil er irgendwann auch den Sattel loslasse. Er beabsichtigt ja nicht, dass das Kind falle und sich dann eventuell Verletzungen zufüge, sondern dass es etwas Brauchbares lerne!
So lässt Gott sehr wohl auch bei uns Menschen Versuchungen in der Art von Prüfungen zu, damit unser Glaube nicht nur aus frommen Worten bestünde, sondern sich in Schwierigkeiten durch eine entsprechende tätige Liebe bewähre! So ließ Gott zunächst auch zu, dass unsere Stammeltern Adam und Eva im Paradies versucht wurden. Sie sollten eben geprüft werden, ob sie wirklich so viel Glauben in der Gestalt von felsenfestem Vertrauen in die Worte Gottes haben, dass sie auf die ihnen durch den Teufel in der Gestalt der Schlange angebotene verbotene Frucht verzichteten. Die damit verbundene Absicht des Teufels bestand selbstverständlich darin, Adam und Eva möglichst zu Fall zu bringen und somit ihre gnadenhafte Beziehung zu Gott zu zerstören – eine eindeutig destruktive Intention! Die entsprechende konstruktive Intention Gottes bestand aber darin, dass Adam und Eva sittlich wachsen und somit zur nächsten Stufe der beseligenden Gotteskindschaft gelangen sollten!
Nach der Logik des „Papstes Franziskus“ müsste man sich die Frage stellen, ob es denn die Versuchung Adams und Evas im Paradies überhaupt hätte geben dürfen. Stamme sie ja grundsätzlich und ausnahmslos bzw. nur und ausschließlich von Satan, weshalb das Ideal wohl darin bestünde, dass es sie niemals gäbe und der Mensch sie niemals erführe. Sei sie ja immer nur schlecht und könne somit von Gott auch insofern niemals gewollt sein, dass Er sie zuließe!
Wäre aber der Glaube des Menschen niemals einer Prüfung unterzogen worden bzw. würde er es niemals werden, könnte der Mensch dann aber auch zu keiner wahren selbstlosen Liebe befähigt werden – weder zur Liebe zu Gott noch zu der zu anderen Menschen! Wie unreife Kinder wären wir dann nämlich, die niemals in irgendetwas geprüft worden sind und somit grundsätzlich zu keinen liebesfähigen und tief im Guten verwurzelten Erwachsenen heranwachsen können. Da darf man schon rhetorisch fragen, ob dies denn dem Bild und Ideal Gottes von Seinem vernünftigen Geschöpf entspräche, wenn dieses einseitig in der Gnade verwöhnt und nicht fähig zur Beantwortung der Liebe Gottes wäre?
So führt auch der hl. Thomas von Aquin aus: „Christus lehrt uns, dass wir den Vater nicht um die Gnade bitten, nicht versucht zu werden, sondern darum, dass wir nicht in die Versuchung geführt werden, die uns in die Sünde fallen lässt. Denn durch die Überwindung der Versuchung verdienen wir die unvergängliche Krone. Daher heißt es bei Jakobus 1,2: ‚Haltet es für lauter Freude, meine Brüder, wenn ihr in mancherlei Prüfungen geratet.‘ … Derselbe Jakobus 1,12: ‚Selig der Mann, der die Prüfung besteht! Hat er sich bewährt, so erhält er die Krone des Lebens, die Gott denen verheißen hat, die Ihn lieben.‘ Und so lehrt Er uns zu beten, dass wir nicht wegen der Zustimmung zur Versuchung gerichtet werden“ (http://www.corpusthomisticum.org/csu02.html).
Im Buch Job des Alten Testamentes lesen wir – gewissermaßen exemplarisch –, wie der Teufel den Glauben dieses Gerechten gerade deswegen in Frage stellte, weil Gott ihn ja gesegnet, für sein Wohlergehen gesorgt und somit vor allem Übel bewahrt hätte. „Doch strecke nur einmal Deine Hand aus und taste seine Habe an, ob er sich nicht offen wider Dich auflehnt!“ (Job 1,11.) Wie wir wissen, ließ dann Gott zu, dass Job sowohl alle seiner Kinder als auch sämtliche seiner Rinder- und Schafsherden verlor und somit alles, was ihm liebt und teuer war bzw. seine Existenz ausmachte. Zuletzt verlor er auch seine Gesundheit und wurde „mit bösem Geschwür von der Fußsohle bis zum Scheitel“ geschlagen (vgl. Job 1,13-2,9).
Die Antwort des Job auf alle diese harten Prüfungen war aber immer dieselbe: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen: gepriesen sei der Name des Herrn!“ (Job 1,21.) Und auch als seine eigene Frau ihm seine Gottesfrömmigkeit zum Vorwurf machte, antwortete er nur: „‘Wie eine Närrin schwatzt, so schwätzt du daher! Nehmen wir an das Gute von Gott, warum nicht nun auch das Böse?‘ Bei alledem sündigte Job nicht mit seinen Lippen.“ (Job 2,10.)
Warum Gott für Job eine solche extrem harte Prüfung zugelassen hat, entzieht sich unserer Kenntnis – das kann nur Er allein wissen! Nach der Logik des Jorge Mario Bergoglio müsste man Job aber nicht nur nicht loben und bewundern wegen seiner Gottestreue und Glaubensstärke, sondern ihm sogar zum schweren Vorwurf machen, er habe da Gott mit Satan verwechselt – Gott hätte ihn ja nie so prüfen können (bzw. dies zugelassen). Leider muss man befürchten, dass mit der betreffenden „oberhirtlichen“ Kritik und Empfehlung des „Franziskus 0.“ bezüglich der 6. Bitte des Vaterunsers, die ja kategorisch formuliert ist und eine jegliche Unterscheidung ausschließt, das Tor in eine solche Richtung des Denkens geöffnet werden könnte, die höchst bedenklich ist und viel Verwirrung schaffen könnte!
■ Beim dargelegten sog. „konstruktiven“ Verständnis des Begriffs „Versuchung“ wird darunter eine bewusste und somit willentliche Zulassung einer Prüfung durch Gott verstanden. Danach lässt Gott den Menschen bisweilen sogar absichtlich einer Situation aussetzen, in welcher für ihn vieles in Frage gestellt wird, damit er sich eben viele neue und ihn weiterbringende Erkenntnisse „erarbeiten“, sich im Guten bewähren und somit Schritt für Schritt geistig immer weiter in Glauben, Hoffnung und Liebe wachsen kann! Auf eine solche Weise „versucht“ Gott sehr wohl ganz aktiv den Menschen! Diesbezüglich hat ein alter Mönch einmal sinngemäß gesagt: Man entferne die Versuchungen gänzlich aus dem Leben der Menschen und keiner wird mehr heilig werden können!
Da wir aber im Voraus niemals wissen können, ob wir die jeweiligen Prüfungen werden bestehen können – ob sie sich an uns nämlich als „konstruktiv“ oder als „destruktiv“ erweisen –, sollen wir in Entsprechung zur Gebetsanleitung Jesu generell beten: „Und führe uns nicht in Versuchung“! Er möge für uns nämlich solche Versuchungen ausschließen und uns ihnen aus dem Weg gehen lassen, denen wir nicht gewachsen sein und die uns somit zu Fall bringen würden. Sonst möge Er uns immer die Kraft in der Prüfung geben, damit wir sie eben erfolgreich bestehen!
„Die Versuchung, in die Gott den Jünger nicht hineingeraten lassen soll, ist nicht jede beliebige, sondern jene, in der seine Jüngerschaft auf dem Spiel steht und damit der Abfall droht.“ (Gnilka, J., Das Matthäusevangelium, I. Teil. Herder 1986, S. 226.) Folgt ja der betreffenden 6.Bitte des Vaterunsers die 7. Bitte hinterher, die als positiv formulierte Bitte die vorherige negativ formulierte Bitte ergänzt und somit den ganzen Gedankengang präzisiert: „Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel!“
Somit soll sich ein katholischer Christ erstens sozusagen nicht zu Tode ängstigen, wenn er sich halt einer Versuchung ausgesetzt sieht und somit einer Prüfung unterzogen wird. Ja, manchmal gehen solche sogar richtig „auf Herz und Nieren“ – was nämlich unsere Glaubensstärke und Gottesfrömmigkeit oder die Einhaltung der Gebote und die lebensmäßige Bejahung der Tugenden angeht. Beten wir dann umso bewusster und hingebungsvoller gerade die letzten beiden Bitten des Vaterunsers, weil sie ja gerade für solche Situationen gedacht sind! Wissen wir ja und machen die entsprechende Erfahrung, dass man einem Teil der Versuchungen sehr wohl durch Gebet und geistige Wachsamkeit aus dem Weg gehen kann.
Aber kämpfen wir dann zweitens auch tapfer den geistigen Kampf und ringen uns mit Hilfe der zu erbetenden Gnade Gottes auch zum jeweiligen geistigen Sieg durch, der uns Ihm als der ewigen Liebe immer eine Stufe näher bringen und unseren Glauben, unsere Hoffnung und unsere Liebe intensivieren wird.
Sicher sollen wir in dieser Intention auch sozusagen im Voraus um die Vermeidung und Schwächung jener Versuchungen bitten, die – ob wegen unserer eigenen Nachlässigkeit und unserem Verschulden oder ohne sie – auf uns einstürzen und somit gewissermaßen „völlig unnötig“ unseren Verstand trüben, die Gefühlswelt durcheinander wirbeln und uns somit die gesunde Konzentration auf das Gute und Richtige rauben würden. Möge uns der Herr davon fernhalten, damit wir Ihm mit umso reinerer Liebe dienen können!
■ Der hl. Apostel Jakobus führt in seinem Brief sehr eindrucksvoll aus: „Keiner sage, wenn er versucht wird: Ich werde von Gott versucht. Gott kann nicht zum Bösen versucht werden, und Er versucht auch selbst niemand. Vielmehr wird jeder, der versucht wird, von der eigenen Begierlichkeit gereizt und gelockt. Hat dann die Begierlichkeit empfangen, so gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod.“ (Jak 1,13-15.) Offensichtlich hat er da jene andere, diabolisch-destruktive Art der Versuchung im Sinn, bei der es dem Urheber dieser Versuchung, der definitiv nicht Gott ist, eben um die Zu-Fall-Bringung des Menschen geht, um die Vernichtung seines Gnadenlebens, um die Zerstörung seiner Gemeinschaft mit Gott, um seinen ganzheitlichen Abfall von Gott. Solle man ja in einem solchen Fall „zum Bösen versucht werden“.
Denn wenn wir diese offensichtlich dringend notwendige Unterscheidung zwischen der vorhin beschriebenen (sog. „konstruktiven“) und dieser (sog. „destruktiven“) Art der Versuchung nicht machen würden, könnten wir nicht im Geringsten erklären, warum sich sogar auch Jesus Christus selbst (Seiner menschlichen Natur nach), der wahre Gottmensch und Göttliche Erlöser, z.B. der Versuchung des Teufels in der Wüste ausgesetzt hat (vgl. Mt 4,1-11) bzw. warum Gott dies überhaupt hat zulassen können! Gut, hier kann man immer noch sagen, die betreffenden drei Versuchungen gingen vom Teufel aus. Aber dennoch sind sie von Gott für Seinen Eingeborenen Sohn zugelassen worden!
Aber als Jesus dann am Kreuz hing und furchtbare körperliche wie seelische Leiden durchlitt, schrie Er ja geradezu zum Himmel hinauf: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ (Mt 27,46.) War das denn keine von Gott zugelassene Prüfung, „Versuchung“, und zwar einer solchen Art und Intensität, wie sie uns, Menschen, in dieser Art und Intensität niemals begegnen wird? Die Formulierung, warum Gott Ihn denn „verlassen“ habe, setzt doch eine von Seinem Vater ausgehende Absicht voraus, Ihn entsprechend zu „verlassen“!
Und schon einige Stunden zuvor, beim Blutschwitzen im Garten Gethsemani, flehte Jesus Seinen Vater an: „Mein Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber. Doch nicht wie Ich will, sondern wie Du willst.“ (Mt 26,39.) Offensichtlich sah Er eine solche furchtbare Prüfung auf sich zustürzen, dass sie Ihm Blutstropfen aufs Gesicht presste und diese Worte entlockte.
Natürlich steht unzweifelhaft fest: „Gott kann nicht zum Bösen versucht werden, und Er versucht auch selbst niemand.“ Sicher kann keine solche (sog. „destruktive“) Versuchung Gott erreichen, die Ihm nämlich in Sein innerstes Wesen eine diabolisch-perverse seelische Regung „einpflanzt“ und diese somit zu einem Teil von Ihm werden lässt! So ist wohl der Zusatz „zum Bösen“ an der betreffenden Stelle des Jakobusbriefes zu verstehen. Genauso wenig kann natürlich auch Er selbst als unser guter Vater jemals einem Menschen eine analoge Versuchung eingeben, die unsere Kräfte definitiv übersteigt und uns somit zu einem sicheren Abfall von Ihm führt.
Dennoch zeigt uns das Beispiel Jesu, dass es wohl noch eine andere Art der Versuchung gibt, von der es in Bezug auf Jesus heißt: „In den Tagen Seines Erdenlebens hat Er unter lautem Aufschrei und unter Tränen Bitten und Flehrufe vor Den gebracht, der Ihn vor dem Tod bewahren konnte. Und Er hat wegen Seiner Gottesfurcht Erhörung gefunden. Und obschon Er der Sohn Gottes war, lernte er an Seinem Leiden den Gehorsam kennen. So vollendet, wurde Er für alle, die Ihm folgen, zum Urheber des ewigen Heiles und ward von Gott als Hoherpriester nach der Ordnung des Melchisedech bezeichnet.“ (Hebr 5,7-10.)
Wir, Menschen, können bei unserem begrenzten Wissensstand meistens nicht zwischen den beiden hier beschriebenen Arten der Versuchung unterscheiden, weswegen wir uns eben generell mit der uns durch Jesus unterwiesenen Bitte an Gott wenden können und sollen: „Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns vor dem Übel“! Gott weiß dann, was was ist und welche Prüfung für uns eventuell heilsam sein könnte und welche definitiv unseren Untergang bedeuten würde. Leitet sich ja die Volksweisheit, dass Gott niemand über seine Kräfte versuchen lässt, vom Wort des hl. Apostels Paulus ab: „Gott ist getreu. Er lässt euch nicht über eure Kräfte versuchen, sondern schafft mit der Versuchung auch den guten Ausgang, dass ihr sie bestehen könnt.“ (1 Kor 10,13.)
Das Problem bzw. der Fehler des betreffenden Vorstoßes von „Papst Franziskus“ besteht aber darin, dass er da leider nicht die geringste Differenzierung vornimmt und somit verschiedene Schichten der betreffenden Sachfrage ganz plump in einen einzigen Haufen wirft. Somit entsteht nicht nur in theologischer Hinsicht Konfusion, sondern vor allem die Gläubigen könnten dann große Gefahr laufen, verwirrt zu werden und für sich daraus Theorien zu entwickeln, die keinesfalls gut und förderlich sind für das geistliche Leben und ihr Seelenheil.
Da sieht man, wohin ein primitiver und den Glauben untragbar versimplifizierender Populismus nach Bergoglio führen kann. Statt ein Sachthema theologisch systematisch aufzuarbeiten und dabei keinen der Aspekte aus dem Zusammenhang zu reißen und zu ignorieren, wird auf eine solche Weise plumpe Polemik betrieben, die schon einem Erstsemester-Theologiestudenten Schamesröte ins Gesicht treiben müsste. Bei diesem „Papst“ ist weitere Verwirrung im Glaubensleben seiner „Kirche“ geradezu vorprogrammiert!
So schrieb dann auch ein Leser des eingangs genannten Artikels auf welt.de diesbezüglich zutreffend: „Bei solchen Diskussionen gewinnt man den Eindruck, dass die Kleriker, die es eigentlich wissen müssten, überhaupt keine Ahnung von ihrem Job haben“.

P. Eugen Rissling

 

 

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