Über die Frage der Jurisdiktion

Liebe Freunde und Wohltäter,

Unter den verschiedenen Themen, die in traditionalistischen katholischen Kreisen heute im Umlauf sind, ist die Frage nach der Jurisdiktion eines, das für Verwirrung gesorgt hat – besonders unter einigen Laien-“Theologen“. Ihrer irrigen Meinung nach gibt es keine Bischöfe und Priester mehr, die das Recht hätten, die hl. Messe aufzuopfern oder die Sakramente zu spenden. Einige dieser unglücklichen und irregeführten „Theologen“ missionieren nun unter den Gläubigen, um sie von dem Empfang der Sakramente abzuhalten, die vom traditionalistischen Klerus gespendet werden. Dass es solche verirrten und fehlgeleiteten Seelen gibt, sollte uns eigentlich nicht überraschen, wenn wir die außerordentliche Situation bedenken, in der sich die katholische Kirche seit dem Vatikanum II befindet. In dem ungewöhnlich langen Interregnum, das dem Tod Pius' XII. folgte, sehen wir die prophetischen Worte Leos XIII. in seinem Gebet zum hl. Erzengel Michael erfüllt:
„Am heiligen Ort selber, an dem der Stuhl des hl. Petrus und der Sitz der Wahrheit für das Licht der Welt aufgestellt war, haben sie den Thron ihrer abgrundtiefen Gottlosigkeit errichtet mit der frevelhaften Absicht, dass, wenn der Hirte geschlagen ist, die Schafe sich zerstreuen werden.“ (Leo XIII., Motu Proprio, 25.09.1888).
Aber so ungewöhnlich unsere Situation heute ist, ist sie doch nicht ganz ohne Parallelen in der Geschichte. So gab es auch in der Vergangenheit der Kirche schwierige Zeiten (wenn auch nicht so schwierige wie heute), die uns leiten sollten in unserer Bewahrung des Glaubens.
Das erste historische Problem, das wir bedenken müssen, ist das lange Interregnum zwischen dem Tod Clemens' IV. (29.11.1268) und der Wahl Gregors X. (1.9.1271). Damals war der Stuhl Petri für fast 3 Jahre unbesetzt. Dazu kam, dass während dieses Interregnums in verschiedenen Diözesen auf der ganzen Welt Bischöfe starben und folglich ihre Bischofssitze leer wurden. Damit nun die Priester und Gläubigen nicht ohne geistige Hirten seien, wurden Bischöfe geweiht, um die leeren Diözesanstühle zu besetzen. Der wichtigste Aspekt an diesem historischen Präzedenzfall ist, dass Papst Gregor X. die Erlaubtheit dieser Weihen bestätigte, die ohne das päpstliche Mandat (päpstlicher Auftrag) gespendet worden waren, zumal diese Bischöfe für das geistige Wohl der Gläubigen wirkten.
Monsignor Charles Journet stellt in seinem Buch The Church of the Word Incarnate (Die Kirche des fleischgewordenen Wortes) fest:
„Die Vollmacht, Bischöfe zu ernennen und einzusetzen, besitzt der Römische Pontifex. Wir müssen aber, wie Cajetan in De Romani Pontificis Institutione sagt, zwischen der Vollmacht des Papstes und der Ausübung dieser Vollmacht unterscheiden, die in ihrer Art und Weise nicht immer dieselbe war [...]. So lassen sich auch die Ernennungen von Bischöfen erklären, die zu Zeiten der Vakanz des Heiligen Stuhles vollzogen und als gültig angesehen wurden.“
Der zweite historische Präzedenzfall ereignete sich während des Großen Westlichen Schismas (1378–1417). Während dieser Zeit gab es erst zwei und dann drei Personen, die das Papstamt für sich beanspruchten (einer in Rom, einer in Avignon und einer in Pisa). Besondere Aufmerksamkeit müssen wir auf die Tatsache legen, dass es nicht möglich ist, dass drei Päpste gleichzeitig regieren und dass daher mindestens zwei dieser Päpste nicht gültig waren. Das interessante dabei ist nun aber, dass es Bischöfe gab, die mit dem Mandat zweier dieser falschen „Päpste“ geweiht wurden und dass diese Bischöfe Priester weihten und sie als Pfarrer einsetzten.
Wie hat die Kirche am Ende dieses Chaos geregelt? Auf dem Konzil von Konstanz, an dem etwa 18.000 Kleriker teilnahmen, wurden die angeblichen Päpste zur Abdankung gezwungen und bestimmte Regeln für die Wahl eines Papstes aufgestellt. Monsignor Journet zitiert zu diesem Thema wieder Cajetan, der sagt: „Im Zweifelsfall (z.B. wenn nicht bekannt ist, wer die wahren Kardinäle sind oder wer der wahre Papst ist, wie es ja während des Großen Westlichen Schismas der Fall war) fällt das Recht, das Papsttum zu verleihen, der gesamten Kirche, der Kirche Gottes, zu“.
Mit der Wahl Martins V. war das Schisma beendet. Es kann die Frage gestellt werden: was war aber mit den Sakramenten, die von den Bischöfen und Priestern gespendet worden waren, die einem der nicht rechtmäßigen Päpste gefolgt waren? Von diesen Gegen-Päpsten konnte doch keine kanonische Sendung und ordentliche Jurisdiktion für die Bischöfe unter ihnen ausgehen! Auch konnten diese Bischöfe wiederum ihren Priestern keine Vollmachten verleihen. Waren die Sakramente, die von diesen Priestern und Bischöfen während des Westlichen Schismas gespendet worden waren, unerlaubt und (im Falle der Beichte und der Ehe) ungültig (mangels ordentlicher Jurisdiktion)?
Eine Antwort auf diese Frage finden wir in De Ecclesia Christi von P. Timothy Zapelena, S.J.:
„Der wahre Papst war der in Rom, also Urban VI. und seine Nachfolger. Daher war er in der Lage, auch den Bischöfen unter den anderen „Päpsten“ Jurisdiktion zu verleihen (wegen des allgemeinen Irrtums der Gläubigen verbunden mit dem “titulus coloratus” ).“
P. Zapelena geht aber noch weiter und überlegt, was wäre, wenn alle drei Kandidaten keine wahren Päpste gewesen wären. Seine Antwort lautet: „Wenn man aber annehmen wollte, alle drei Päpste seien ungültig gewesen, so muss man einräumen, dass die Jurisdiktion (aufgrund des titulus coloratus) zwar nicht von der Kirche, mangels der päpstlichen Autorität (zu diesem Zeitpunkt – Anm.), ergänzt wird, aber von Christus selber, der allen dieser Gegen-Päpste soviel an Jurisdiktion verlieh als notwendig war.“
Dieses Konzept von ergänzter Jurisdiktion ist sehr wohl bekannt im Kirchenrecht und in der Moral- und Sakramentstheologie werden zahlreiche Beispiele dafür aufgeführt.
Nach Beendigung des Westlichen Schismas und der Wahl des Papstes Martin V. wurden die Sakramente, die von den Klerikern, die sich irrigerweise der falschen Partei angeschlossen hatten (und daher keine wahre kanonische Sendung und ordentliche Jurisdiktion besaßen) niemals in Frage gestellt. Die Kirche ergänzte die Jurisdiktion für die Bischöfe und Priester.
Im Kirchenrecht werden drei Typen von Jurisdiktion aufgezählt: ordentliche, delegierte und ergänzte (supplierte). Der traditionalistische katholische Klerus erhält heute diese supplierte Jurisdiktion in dem Moment, in dem er die Sakramente spendet. Dies tut die Kirche für das Heil der Seelen. Unsere Mutter die Kirche ist so großherzig und wohlwollend, dass sie den Gläubigen erlaubt, zum Heil ihrer Seele (im Notfall – Anm.) sogar zu einem exkommunizierten Priester (toleratus: bevor über ihn das Urteil gesprochen ist) zu gehen. Gemäß Canon 2261 des Kirchenrechts: “Die Gläubigen können aus jedem hinreichenden Grund die Sakramente oder Sakramentalien von jemand erbitten, der exkommuniziert ist, besonders wenn kein anderer Priester erreicht werden kann.”
Ein bekanntes Prinzip der Sakramentstheologie ist, dass die Sakramente für die Menschen da sind (Sacramenta propter homines).
Teilweise liegt die Verwirrung, der diese Laien“theologen“ erliegen, in der Frage nach der “kanonischen Sendung”. Irrtümlicherweise nehmen sie an, dass ein Bischof oder Priester nur dann die Sakramente rechtmäßig spenden kann, wenn er die “kanonische Sendung” hat. Ihr Problem ist also, dass sie den Unterschied zwischen Weihe und Jurisdiktion nicht verstehen.
In The sacred Canons (Das heilige Kirchenrecht) von Rev. John A. Abbo, S.T.L., J.C.D. und Rev. Jerome D. Hannan, A.M., LL.B., S.T.D., J.C.D. lesen wir:
„Die Weiheordnung ist die Gewalt, die ihrer Natur nach die Heiligung und Rettung der Gläubigen durch den öffentlichen Gottesdienst, besonders durch das Opfer der hl. Messe und die Spendung der Sakramente, bewirkt.
Die Jurisdiktionsordnung ist die Gewalt, mit der die Gläubigen regiert werden, damit sie zum ewigen Leben gelangen.
Es bestehen gewisse Unterschiede zwischen diesen zwei Vollmachten. Die Weihe wird erlangt durch einen heiligen Ritus; die Jurisdiktionsgewalt (außer im Falle des Papstes) durch kanonische Sendung. Die Weihevollmacht, einmal erlangt, verliert man nie mehr wieder, und jede Ausübung der in der Weihe erhaltenen Vollmachten ist immer gültig, wenn sie auch unerlaubt sein kann; die Jurisdiktionsgewalt kann widerrufen werden und ihre Ausübung ist hiernach im Normalfall ungültig. Bei den Weihestufen sind wenigstens drei göttlichen Ursprungs; bei der Jurisdiktion nur zwei. Es ist möglich, dass die Jurisdiktion, welche gewöhnlich mit einer bestimmten Weihe verbunden ist, von jemand besessen wird, obwohl er diese Weihestufe noch nicht erreicht hat, z.B. wenn die Jurisdiktion über eine Diözese ein Administrator oder Generalvikar innehat, welcher nur Priester ist. Auf der anderen Seite ist es möglich, dass die Jurisdiktion jemand nicht übertragen wird, obwohl er eine Weihestufe hat, mit welcher sie gewöhnlich verbunden ist, z.B. im Falle eines Titularbischofs.“
Der Punkt, auf den es hier ankommt, ist, dass sogar in normalen Zeiten nicht alle Bischöfe ordentliche Jurisdiktion und nicht alle Priester die rechtliche Vollmacht besitzen, Sakramente zu spenden. Moraltheologen sprechen diese Thematik im Zusammenhang mit der Frage an, ob ein Priester eine Sünde begeht, wenn er die Sakramente ohne die notwendige Jurisdiktion spendet. Unter anderen lehrt der hl. Alphons von Liguori, dass ein Priester nicht sündigt, wenn er im Falle einer wirklichen Notlage von Seiten den Gläubigen für die Sakramentenspendung die supplierte Jurisdiktion beansprucht.
Fr. Anthony Cekada nimmt in seinem hervorragenden Artikel zu diesem Thema Traditional Priests, Legitimate Sacraments (Traditionelle Priester, erlaubte Sakramente) Bezug auf Moraltheologen, die lehren, dass Priester, auch wenn sie auf einem bestimmten Gebiet keine rechtliche Vollmacht zur Sakramentenspendung besitzen, die moralische Verpflichtung haben, die Sakramente zu spenden, wenn von Seiten der Gläubigen ernster Bedarf besteht.
“Wenn keine Priester vorhanden sind, die die cura animarum (die Pflicht zur Sorge für die Seelen) innehaben, dann sind andere Priester aus Nächstenliebe verpflichtet, die Sakramente zu spenden [...] wenn sich eine Gemeinde in ernster Not befindet, dann sind [solche Priester] verpflichtet, die Sakramente zu spenden, selbst wenn sie damit ihr Leben in Gefahr bringen, solange Hoffnung besteht, dass es ihnen wirklich gelingt, die Sakramente zu spenden und kein anderer da ist, der helfen kann” (Merkelbach 3:87).
“Sie sind durch eine allgemeine Verpflichtung gebunden, die durch die Weihe entsteht, die sie empfangen haben. Denn Christus der Herr hat sie zu Priestern gemacht, damit sie sich der Rettung der Seelen weihen. Daher ist es ihre spezielle Pflicht, die Sakramente zu spenden. Dies verdeutlicht auch der Weiheritus, der ihnen die Vollmacht gibt, das Opfer darzubringen, von Sünden freizusprechen und die anderen Sakramente zu spenden [...] Diese Verpflichtung bindet schwer je nachdem, wie ernst die geistige Not der Gläubigen in den Diözesen ist, in denen ein solcher Priester wirken soll oder an dem Ort, in dem er lebt. Wenn eine solche Gemeinde in offensichtlich ernster Not ist – wenn z.B. auf Grund der geringen Zahl an Priestern oder Beichtvätern die Menschen praktisch keine Möglichkeit haben, an der Sonntagsmesse teilzunehmen und die hl. Kommunion zu empfangen, oder wenn es für die Gläubigen schwer ist, häufiger das Sakrament der Buße zu empfangen, sodass viele in Sünden bleiben müssten – dann hat ein Priester die schwere Pflicht, diese Sakramente zu spenden und sich selber für das Amt des Beichtvaters vorzubereiten” (Aertnys-Damen, Theologia Moralis 2:26).
Zeit und Platz erlauben uns hier nicht, die anderen Punkte anzusprechen, die man gegen diese Laien-”theologen” erheben kann, die auf “Mission” sind, die katholischen Gläubigen zu überzeugen, daheim zu bleiben anstatt von traditionalistischen Priestern die Sakramente zu empfangen. Diese Sachverhalte, wie die inneren Grenzen des Gesetzes, die Epikie (die wohlwollende Interpretation des Gesetzes - Anm.), und die eigentliche Natur des Gesetzes selbst (das allgemeine Wohl), wurden in der Vergangenheit schon zur Genüge behandelt. Die Gläubigen sollten sich von solchen Unruhestiftern nicht verwirren lassen. Sie kommen und gehen. Ihre Position ist wahrlich traurig und kann in vier Worten beschrieben werden: Fr. Anthony Cekada schrieb einmal einen Artikel mit dem Titel Follow Me or Die (Folge mir oder stirb) über solche, die von den Gläubigen die totale Unterordnung unter ihre persönliche Meinung verlangen. Jene, die diese irrige Meinung vertreten, zu Hause zu bleiben, würde ich mit den Worten bezeichnen Follow Me and Die (Folge mir und stirb). Ohne die Messe und die Sakramente berauben sie sich selber und ihre Kinder so vieler Gnaden! Welche Tragödie! Beten wir für diese irregeführten Seelen.

Mit meinen Gebeten und meinem Segen,


Most Rev. Mark A. Pivarunas, CMRI
(Aus: Adsum, Juli 2009)

 

 

Zurück Hoch Startseite