"Seid Meine Zeugen!"


Jeder Mensch, der sich für eine Sache oder für irgendein Unternehmen einsetzt, interessiert sich auch an deren Fortgang und Erfolg. Man bleibt nicht gleichgültig, man fiebert mit und wünscht diesem Unternehmen günstige Entwicklung, damit möglichst viele in den Genuß dessen positiver Auswirkungen kommen können. Der betreffende Mensch fühlt mit: kommt es zum Erfolg - freut er sich; erleidet aber die gemeinsame Sache Mißerfolg - bedrückt ihn dies. 

So verhält es sich bei uns auch im Hinblick auf das Reich Gottes hier auf Erden. Hat ja Jesus Christus am Tag Seiner Himmelfahrt der Kirche den Auftrag gegeben, allen Geschöpfen Sein Evangelium zu verkünden und sie durch die Taufe zu Seinen Jüngern zu machen (vgl. Mt 28,18ff.). Daher wird jedem ernsthaften Christen, der seinen Glauben nicht bloß oberflächlich lebt, das Missionsanliegen Christi und Seiner Kirche am Herzen liegen. Wenn wir uns aber umschauen, dann müssen wir leider feststellen, daß in unserer Gesellschaft und unter unseren Zeitgenossen immer weniger Glaubenssubstanz vorhanden ist. Menschen (v. a. die Jugend) kennen oft nicht mehr die Grundlagen des katholischen Glaubens, sie verdrehen sie nach eigenen Wünschen und privaten Vorstellungen, Esoterik und andere Formen des Aberglaubens nehmen erschreckende Ausmaße und Züge an. Die Zahl jener, die einen gesunden Glauben und ein lebendiges Interesse daran besitzen, nimmt ab. Kaum jemand läßt sich von der Wahrheit des katholischen Glaubens überzeugen, die nominellen Katholiken sind hier nicht ausgeschlossen. Ja, die Amtskirche selbst trägt durch Unklarheiten, Zweideutigkeiten und sogar offenkundige Irrlehren nicht unmaßgebend zur Verbreitung von Häresien und Zweifeln bei. 

Diese Entwicklung übt auf jeden Christen, der mitfühlt, eine mehr oder weniger deprimierende Wirkung aus. Darf es uns doch nicht gleichgültig sein, wie sich die Sache Christi hier auf Erden entwickelt. Somit ist bei uns auch die Gefahr gegeben, der Versuchung der Resignation zu erliegen. Wenn man den Einsatz bringt, und über längere Zeit hinweg sich (trotzdem) kein erwartetes Erfolgserlebnis einstellt, neigt man sehr leicht dazu, jegliche weitere Bemühung einzustellen, sich nicht mehr weiter anzustrengen, alles - auch die gesunde Hoffnung - aufzugeben. Wie soll man angesichts dieses Tatbestandes noch den Durchblick gewinnen und nicht an der Sache Christi und an der Kirche verzweifeln? 

Nun, wenn wir im Evangelium blättern, finden wir an keiner einzigen Stelle einen Hinweis darauf, rein äußere Erfolge erzielen zu müssen. Natürlich sollen durch die Missionstätigkeit der Kirche möglichst alle das Heil erlangen: “Er (Gott) will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen” (1 Tim 2,4). Nur wird der Erfolg nicht allein an der Zahl der Bekehrten oder Anhänger gemessen. 

Worum es Christus während Seines Wandeln auf Erden gegangen ist, war, Zeugnis abzulegen: “Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, daß Ich für die Wahrheit Zeugnis gebe” (Joh 18,37), antwortete Jesus Pilatus beim ersten Verhör. Bezeichnenderweise hat der Herr niemals um die Gunst und Anerkennung der Menschen gebuhlt, sie niemals durch irgendwelche taktische Tricks auf Seine Seite gezogen. Jeglicher verlogenen Taktik bar hat Er immer offen und ehrlich die Wahrheit gesagt und vor allem die Wahrheit gelebt, was allerdings auch kluges (nicht opportunistisches) Verhalten nicht ausschließt. Mußte Er letztlich nicht auch wegen des Verzichts auf geforderte Wunderzeichen Sein Ende - menschlich gesprochen - am Kreuz finden? 

Aber durch Seine unbedingte Treue zur göttlichen Wahrheit hat Jesus sich als den wahren und wahrhaftigen Gott geoffenbart! Er hat gerade im Elend, in Seinem tiefsten Leid durch Sein Opfer der Welt gezeigt, daß es Ihm letztlich allein um das Recht und die Wahrheit geht, daß sich bei Ihm keine Sünde, ja nicht einmal ein Schatten von sittlicher Unbeständigkeit finden läßt! Und um Seine durch nichts zu erschütternde Treue zur ewigen Wahrheit und zum göttlichen Recht unter Beweis zu stellen, fand Er sich sogar bereit, den schmachvollen Kreuzestod auf sich zu nehmen. Durch Sein ganzheitliches Leben der Wahrheit hat Christus als der eingeborene Sohn Gottes somit das unerschaffene Licht Gottes ungetrübt widerspiegelt und an die Menschheit weitergeleitet. Auf wen, wenn nicht auf Ihn, trifft das Wort des Psalmisten am meisten zu: “Du liebtest das Recht und haßtest den Frevel” (Ps 44,8)? 

Vor allem aber hat Jesus durch Sein Festhalten an der göttlichen Wahrheit die Liebe vollzogen, Er hat aufs eindrucksvollste bewiesen, daß “Gott die Liebe ist” (1 Joh 4,16), daß Er “so sehr die Welt geliebt hat, daß Er Seinen eingeborenen Sohn dahingab, damit jeder, der an Ihn glaubt, ...ewiges Leben habe” (Joh 3,16)! Und gerade dieser Vollzug der Liebe, die Jesus mit jeder Faser Seines Wesens gelebt hat, vernichtete die Sünde und entmachtete die Hölle. Die Sünde als der Gegensatz zur Gottesliebe wurde gesühnt und der Gerechtigkeit Gottes genüge getan. Auf diese Weise hat Christus der Welt verkündet, daß Er heilig, daß Er der Heilige schlechthin ist - auf Ihn ist voller Verlaß, Er steht jederzeit zu Seinem Wort, zu Seiner Verheißung! 

Von Johannes dem Täufer heißt es, daß er “kam, Zeugnis zu geben, Zeugnis von dem Licht. Alle sollten durch ihn zum Glauben kommen. Er war nicht das Licht, nur Zeugnis geben sollte er von dem Licht” (Joh 1,7 f.). Und dieses Zeugnis bestand darin, daß er unentwegt auf Jesus als das wahre “Lamm Gottes” hinwies, “das hinwegnimmt die Sünde der Welt” (vgl. Joh 1,19-34). Ergreifend ist sein Lebensprogramm: “Jener muß wachsen, ich aber abnehmen” (Joh 3,30). 

Die Abschiedsrede an die Apostel beschloß Jesus vor Seiner Himmelfahrt bezeichnenderweise mit den Worten: “Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, Der auf euch herabkommt, und werdet Meine Zeugen sein in Jerusalem, in ganz Judäa und Samaria, ja bis an die Grenzen der Erde” (Apg 1,8). Die Aufgabe der Jünger Jesu Christi wird damit umschrieben, daß sie Zeugnis für die Wahrheit Christi ablegen sollen. Wurde ja ihnen vorhergesagt: “Sie werden euch den Gerichten ausliefern und in ihren Synagogen euch geißeln. Ja, um Meinetwillen werdet ihr vor Statthalter und Könige geschleppt werden, um Zeugnis abzulegen vor ihnen und vor den Heiden” (Mt 10,17f.). 

Demzufolge gehört es nicht zu den Aufgaben der Christen, rein äußere Zustimmung, persönliche Ehre und Applaus - d.h. menschlichen Erfolg - zu sammeln. Ihr Augenmerk sollen sie darauf richten, durch Wort und Tat der Wahrheit Christi zum Sieg zu verhelfen! Wie der Heilige Geist, der “Geist der Wahrheit”, Zeugnis für Christus ablegt, d.h. Christus als den wahren Sohn Gottes offenbart, so sollen auch die Jünger Jesu “Zeugnis geben” (vgl. Joh 15,26-16,4). Paulus wird nach “der gewaltigen Aufregung” des Tages “in der folgenden Nacht” von Christus gerade mit den Worten getröstet: “Sei guten Mutes! Wie du in Jerusalem Zeugnis für Mich abgelegt hast, so sollst du auch in Rom Zeugnis geben” (Apg 23,10f.). 

Von den ersten Christen in Jerusalem heißt es: “Sie hielten fest an der Lehre der Apostel und an der Gemeinschaft, am Brotbrechen und am Gebet. Jedermann war von Furcht (Ehrfurcht) ergriffen. [...] Die Gläubigen hielten alle zusammen und hatten alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und verteilten den Erlös unter alle, je nachdem einer bedürftig war. [...] Sie priesen Gott und waren beim ganzen Volk beliebt. Der Herr aber führte ihnen täglich die zu, die das Heil erlangen sollten” (Apg 2,42ff.). Neben der Predigt der Apostel lebten sie ganz einfach die Werte des Evangeliums. Und das übte eine innere Anziehungskraft auf alle aus, die sich haben davon überzeugen lassen. Durch das eigene Lebensbeispiel wurde den Außenstehenden die Wahrheit des Christentums offenbar. Und nicht mehr bedurfte es dann vieler Worte, um den die Wahrheit Suchenden zu überzeugen. Denn die beste Predigt ist die, wenn die inneren Werte der christlichen Tugenden wie Treue zu Gott, Wahrhaftigkeit, Hilfsbereitschaft, Uneigennützigkeit, Hingabe an Gott usw. für die “Zuhörer” am Lebensbeispiel der Christen zum Vorschein kommen. Der positive Wert der Liebe (Gottes und des Nächsten) geht einem in der Regel dann am schnellsten auf, wenn man diese Liebe selbst miterlebt oder erfahren hat. 

So braucht besonders die heutige Zeit, in der sich die Menschen immer mehr vom Herrgott abwenden, das überzeugende Beispiel der Jünger Jesu Christi. Besonders wenn jegliches Wort der Glaubensverkündung nichts mehr fruchtet, sind wir dann umso mehr aufgerufen, das Zeugnis für Christus ganzheitlich-lebensmäßig abzulegen: “Ihr seid das Licht der Welt. Eine Stadt, die auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben. Auch zündet man kein Licht an und stellt es unter den Scheffel, sondern auf einen Leuchter. Dann leuchtet es für alle im Haus. So leuchte euer Licht vor den Menschen, damit sie euren guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen” (Mt 5,14-16). Dabei darf es uns nicht um unseren eigenen Ruhm gehen, unser Interesse soll letztendlich der Verherrlichung Gottes gelten. 

Wir sind bedrückt über die traurige Lage des Glaubens in unserer Gesellschaft. Eine der Ursachen dafür ist sicherlich auch, daß das Christentum von zu vielen Christen nicht mehr wirklich gelebt, sondern oft sogar als eine unangenehme Last mitgeschleppt wurde und wird. Wollen wir dem Abhilfe verschaffen, sollten wir uns unbedingt des bewußt gelebten Christentums befleißigen. Nur dann besteht noch eine Chance, daß der Glaube in unseren Landen nicht vollends ausstirbt, sondern vielleicht sogar wieder in Blüte erstarkt. 

Dieses gelebte Christentum wird dann aber auch auf uns selbst die positive Auswirkung nicht verfehlen - die Kraft des Glaubens wird uns stärken, die aufrichtige Freude im Herrn der Niedergeschlagenheit als einer grundsätzlichen Haltung vorbeugen und somit auch jeglicher Resignationsmentalität den Boden entziehen. Wie kann und soll denn jemand - mag es noch so schwer sein - verzweifeln, wenn der Herrgott selbst in seinem Herzen wohnt?

 

P. Eugen Rissling



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