Gebet als Zuwendung an Gott


1) Wenn sich ein Mensch irgendwo häufiger aufhält und somit auch dort wohl fühlt, ob dies nun räumlich in der Gestalt eines geografischen Ortes zu verstehen ist, oder ob dies eine Familie oder auch einen bestimmten Personenkreis ausmacht, dann entwickelt er für diese Erfahrung mit der Zeit nicht selten sogar heimatlich-angenehme Gefühle. Man fühlt sich dazugehörend, sich darin geborgen, sich dadurch verstanden. So hat der Mensch auch immer wieder Freude, in diesen Ort, zu seiner Familie, zu seinen Freunden zurückzukehren, um dort bzw. mit ihnen einen nicht unbedeutsamen Teil seiner Zeit zu verbringen. Und diese persönliche emotionale Erfahrung trägt bei uns Menschen maßgeblich zur Definition des Begriffes der Heimat bei, durch welche wir ja in unserem Leben nicht unwesentlich geprägt werden.

Und wenn man dann einmal „raus“ muss und etwas länger fern dieser „Heimat“ ist, dann merkt der Mensch, dass ihm etwas fehlt, was für ihn sehr wohl von Bedeutung (geworden) ist - man hat Heimweh! Umso größer dann auch die Freude „heim“zukehren: etwa in der Fremde die eigene Muttersprache zu sprechen, seine Freunde und Familie wiederzusehen usw.

Für einen Christen, der sich bemüht, Gott aufrichtig zu lieben und zu dienen und seinen Glauben bewusst zu leben, kann diese geistige „Heimat“ letztendlich kaum etwas anderes darstellen als die bewusste und willentliche Zuwendung an Gott! Der Herrgott hat uns erschaffen, Er hat uns durch Sein kostbares Blut teuer von unseren Sünden erkauft, Er überhäuft uns in den heiligen Sakramenten mit Seinen himmlischen Gnaden - dies alles und noch vieles mehr ist ein überdeutlicher Ausdruck und ein überwältigender Beweis Seiner Güte und selbstlosen Liebe zu uns!


2) Und wie kann dann ein Christ teilnahmslos an diesen Realitäten vorbeigehen? Ist es denn nicht ein Merkmal der wahren Liebe, die erwiesene Liebe mit der Liebe und Hingabe des eigenen Herzens zu erwidern? Wenn sich Gott uns zuwendet und unser Bestes, unser Heil will, soll es denn dann nicht geradezu zum Herzstück der Gottesbeziehung eines katholischen Christen werden, sich auch seinerseits IHM zuzuwenden und IHM auch bewusst einen Teil der eigenen Zeit zum Zweck des Austauschs der Liebe zu schenken?

Wir wissen ja, dass die katholische Kirche von uns im Katechismus das tägliche Gebet verlangt. Nun stellt ja das Gebet, wie jeder leicht einsieht, kein oberflächliches Reden geschweige denn ein geistloses Herunterleiern von irgendwelchen Gebetsformeln dar. Ein Gebet ist nur dann ein wahres Gebet, wenn der Mensch es andächtig verrichtet, wenn er mit seinem Geist voll dabei ist, wenn er sich willentlich an Gott wendet - wenn er sich bewusst Gott zu-wendet!

Und je häufiger und vor allem je intensiver sich ein Mensch Gott z.B. und gerade im Gebet zuwendet, desto bewusster erfährt er auch darin Gott, desto mehr kommt er auch in den Genuss des überirdischen Reichtums Gottes - desto größer wird in ihm die Liebe zu Gott. Und je größer die Liebe desto mehr auch das Verlangen nach ihr, das Verlangen nach Gott. Desto mehr wird dann auch der geistige Hunger nach einer himmlischen Speise wachsen, die bei weitem alle rein irdischen Güter und Ideale übertrifft!

Somit gehört diese willentliche und bewusste Zuwendung an Gott sozusagen zum wesentlichen Bestandteil der Gottesbeziehung, des praktischen Glaubenslebens. Sie wird für jeden (gottliebenden) Menschen zu jener geistigen „Heimat“, von welcher vorhin die Rede war. „Dort“ ist er zu Hause, weil geborgen in der Hand Gottes, „dorthin“ kehrt er auch immer wieder gern zurück, weil Gott den Sinn seines Lebens, den Sinn eines jeden menschlichen Lebens ausmacht. Der Mensch kennt Gott lebensmäßig-praktisch und erfreut sich des gegenseitigen Austausches der alles überwältigenden göttlichen Liebe.

Ohne dieses so genannte „Kerngeschäft“ entbehrt dagegen die Glaubenspraxis eines Menschen ihrer Haupttätigkeit, ihres Herzstücks! Die Religion wird leer und geistlos, sie verkommt zu einer rein äußeren Hülse, die einen letztendlich weder tragen noch einem so richtig Orientierung geben kann.


3) Und dies wird uns umso mehr bewusst, wenn wir uns vielleicht eine etwas zu lange Weile fern dieser geistigen „Heimat“ aufhalten sollten. Gelegentlich schiebt man den Herrgott vielleicht unbewusst etwas in den Hintergrund, indem man ein klein wenig zu intensiv manchen anderen Aufgaben des Alltags nachgeht, die an sich, d.h. an der richtigen Stelle auf der Werteskala durchaus berechtigten wären. Aber dieses ungesunde „zu viel“ bringt dann bei uns die richtige Proportion durcheinander und verschiebt die legitime Zielsetzung.

Oder wir lassen es zu, dass der Bereich der Gottesbeziehung zu sehr durch verschiedenartige weltlich-irdische Sorgen überlagert werden. Man kümmert sich um das eine und das andere, meint dabei, dieses wäre sehr wichtig, jenes müsse unbedingt verrichtet werden. Aber man vergisst oder missachtet dabei gleich der Martha des Evangeliums, die sich im Unterschied zu ihrer „zu den Füßen des Herrn“ sitzenden und Seinen Worten lauschenden Schwester Maria „viel zu schaffen“ gemacht hat „mit der Bedienung“ Jesu, dass nicht diesem weltlichen Bereich, sei es auch die Gastfreundschaft, letztendlich unsere Hauptaufmerksamkeit gelten darf! So richtet ja auch Jesus ein ernstes Wort an sie: „Martha, Martha, du sorgst und kümmerst dich um gar viele Dinge. Nur eines ist notwendig. Maria hat fürwahr den besten Teil erwählt. Er soll ihr nicht genommen werden“ (vgl. Lk 10,38-42).

Besonders deutlich wird einem Menschen die Leere und Sinnlosigkeit des Lebens ohne Gott, wenn er gleich dem verlorenen Sohn des Evangeliums sich so richtig verirren, gewissermaßen dauerhaft in ein so genanntes „fernes Land“ ziehen und dort sein geistiges „Vermögen“ durch ein sittlich „ausschweifendes Leben“ verschwenden sollte. Und es kommt dann, was kommen muss: „als er alles durchgebracht hatte, kam über jenes Land eine schwere Hungersnot, und er fing an zu darben“ (vgl. Lk 15,11-16).

Und erst nachdem man dann in sich geht, sein fehlerhaftes Verhalten kritisch überdenkt, dem Irrweg entsagt und sich auf den Weg zurück ins Vaterhaus begibt - d.h. sich bewusst dem Herrgott entschlossen zuwendet -, wird man wieder in die väterlichen Arme genommen und an Sohnes Statt eingesetzt (vgl. Lk 15,17-24)! Denn der liebe Gott wartet ja nur auf die erste Regung unseres Umkehrwillens und kommt uns dann sogar selbst entgegen (vgl. Lk 15,20), damit wir uns Ihm dann eben konkret zuwenden können!


4) Machen wir uns also immer wieder und immer von neuem in unser himmlisches Vaterhaus auf. Erkennen wir, dass wir ohne den Herrgott, ohne eine intensive Beziehung zu Ihm zugrunde gehen und geistig nicht werden überleben können. Wende wir uns Ihm sowohl gedanklich als auch gebetsmäßig zu, wenn wir etwa von Sorge erfüllt oder durch irgend ein Kreuz belastet sind. Wenden wir uns Ihm zu, wenn uns die menschliche Schwäche oder irdische Versuchbarkeit zu schaffen machen. Wenden wir uns Ihm zu, wenn uns unsere Aufgaben über den Kopf zu wachsen scheinen.

Dann werden sich sicherlich so manche dunkle Wolken verflüchtigen, so manche schwere Gewitter entspannen und so manche Sorge relativieren. Und zwar weil der Herr uns dann entweder Orientierung geben, einen gesunden Blick für die Situation schenken oder auch beim Kreuztragen neue Kraft zum Durchhalten einflößen wird!

Wenden wir uns Ihm aber auch einfach so, sozusagen aus innerem Bedürfnis heraus, zu, um einfach möglichst regelmäßig eine geistige Atempause im Alltagsstress einzulegen, um innerlich „durchzuschnaufen“, um Verbindung mit Ihm aufzunehmen, um sich Seiner sowohl geheiligten als auch heilvermittelnden Gegenwart zu erfreuen, um Ihm unsere eigene Herzensliebe auszudrücken. Dabei kann diese bewusste und willentliche Zuwendung des Menschen an den Herrgott sowohl in einem fest formulierten Gebet bestehen oder auch durch ein kurzes Stoßgebet, durch ein Nachdenken bzw. eine christliche Meditation über Gott und die Welt oder schließlich auch durch einen einfachen stillen Gedanken erfolgen. Gott ist überall da, Er hört jeden stillen Seufzer, Ihm bleibt kein Wort und kein Gedanke verborgen!

Diese Gebetshaltung („Gebet“ im weiteren Sinne des Wortes) ist umso dringender, als wir heute leider Zeugen eines breitangelegten Prozesses des Glaubensabfalls sein müssen. Wir überstehen diese äußert traurige und für so viele Menschen tragische Entwicklung ohne dauerhafte und bleibende Schäden für unsere Seele nur dann, wir „überleben“ sie geistig nur dann, wenn wir der Sorge um den Herrgott und um den katholischen Glauben nicht bloß einen untergeordneten Stellenwert beimessen, geschweige denn wenn wir sie ganz aus unserem Blick verlieren sollten. Wo der negative Einfluss der Unterwelt stark ist, da muss auch die positive Kraft des Glaubens umso intensiver sein, welche ja letztendlich nur aus einer lebendigen Gottesbeziehung heraus entstehen kann!

Denn nur dann erfährt der Mensch in Jesus Christus und in der lebensmäßig-ganzheitlichen Zuwendung an IHN die geistige Heimat, nur dann ist er geborgen in der Hand Gottes und darf sich trotz mannigfacher Turbulenzen der Gegenwart des tiefen Friedens in Gott erfreuen. Denn in Jesus Christus allein ist Heil, Er allein ist das ewige Leben und kann uns dieses auch schenken (vgl. Apg 4,12; 1 Joh 1,2)! Wollen wir diese große Wahrheit nicht vergessen, wollen wir unsere früheren Verfehlungen nicht wiederholen, sondern uns umso mehr IHM durch unsere ganzheitliche Glaubenshaltung zuwenden, IHM immer wieder und immer bewusster die Liebe unseres Herzens erklären.



P. Eugen Rissling

 

Zurück Hoch Startseite