Das Ziel des Glaubens


Im Zusammenhang mit dem diesjährigen Deutschen Katholikentag, der vor einigen Wochen in Mainz stattgefunden hat, wurden in Rundfunk und Fernsehen einige Sendungen ausgestrahlt, in denen es neben Berichterstattung von dieser Veranstaltung auch um die Situation und den Stellenwert von Religion, Glaube und Kirche in unserem Land ging. In einer dieser Sendungen wurden junge Menschen befragt, was sie sich unter Gott und Religion vorstellen, welche Inhalte sie damit in Verbindung bringen, welche Bedeutung für sie der Glaube hat. 

Es gab verschiedene Stellungnahmen zu diesem Thema. So meinte z.B. ein junger Mann, Gott sei die Natur, ein anderer, Gott sei halt einfach alles, was existiere, auch “das Holz dieses Hauses” (Pantheismus). Eine junge Frau aber, bei der man merkte, daß sie praktizierend, d.h. eine regelmäßige Kirchgängerin, war, vertrat die Ansicht, Glaube sei (für sie) so viel wie Gemeinschaft und Freundschaft. Wenn sie die Aktivitäten einer kirchlichen Gemeinde mitmache, fühle sie die Geborgenheit einer Gemeinschaft. 

Klingen nun die ersten zwei erwähnten Äußerungen ziemlich banal und oberflächlich - wurden sie dem Anschein nach eher aus Verlegenheit gemacht -, ist der dritten Antwort schon ein gewisses Maß an Ernsthaftigkeit anzusehen, ist sie teilweise auch berechtigt. Trotzdem fehlt ihr (ebenfalls) ein äußerst wichtiges Element im Hinblick darauf, worum es im Glauben gehen, was die Grundausrichtung eines Christen sein sollte. Und irgendwie steht sie auch stellvertretend für die Einstellung vieler jener unserer Zeitgenossen zu Gott und Religion, die sich noch zum Glauben an Gott als ein höheres Wesen bekennen. 

Denn zieht man entsprechende Äußerungen darüber heran, was von Gott und der Kirche erwartet wird, entsteht der Eindruck - wie aus den obigen Sätzen der jungen Frau ebenfalls erkenntlich -, als ob es in der Religion hauptsächlich darum gehe, den Menschen irgendwie zu unterhalten, ihn bei Laune zu halten. Der Glaube und die Religion erscheinen als eine Art Mittel zum Zweck: um Freude und Frieden im Leben zu erfahren, bediene sich halt der Mensch ihrer; um Kraft und Hoffnung zu schöpfen, um ausgeglichen und glücklich zu werden, seien sie das richtige Rezept! Und was besonders nachdenklich stimmt: Gott scheint auch in der Vorstellungswelt vieler, die sich heute (offiziell) zum Christentum bekennen, nur dazu da zu sein, um die Bedürfnisse, Wünsche und Sehnsüchte der Menschen zufrieden zu stellen. Die Richtung, in welcher bei vielen Menschen die Religion zu verlaufen und sich “abzuspielen” habe, ist der Mensch, vorrangig seinem Wohlergehen habe sie zu dienen. Somit wird der Mensch zum Maß aller Dinge gemacht! 

Demzufolge wird auch von Gott erwartet, Sich auf dieses System einzustellen. Bestehe ja die Verbindung des Menschen zu Gott darin, von Ihm - je nach dem Maß der eigenen Gläubigkeit - Hilfe, Trost, Beistand, Gnade usw. zu erwarten und zu erlangen. Gottes ausschließliche Tätigkeit im Hinblick auf den Menschen wird darin erblickt, diesen vor jeglichem Übel zu bewahren und ihn zur Not auch davon zu befreien. Auf diese Weise wird Gott in die Umlaufbahn des Dienstes am Menschen eingespannt. (Um es zu verdeutlichen: zur Aktivität Gottes gehört nicht nur, dem Menschen beizustehen und zu helfen, sondern auch, von ihm etwas zu verlangen, von ihm etwas zu fordern und zu erwarten [siehe die Gebote Gottes])! 

Auch die Aufgabe der Kirche (“Kirche” allgemein) wird dementsprechend häufig lediglich darin gesehen, eine Art Dienstleistungsanbieter (!) zu sein: wie im profanen Alltagsleben machen die verschiedenen “Kirchen” und Religionen ihre (Heils-?)Angebote, und der Mensch trifft dann die Entscheidung, was ihm am meisten zusagt. Da es ja - was das höchste Dogma ist - keine allgemeingültige Wahrheit gebe, wird diese Entscheidung nach rein persönlichen Kriterien getroffen. Wiederum genießt der Mensch die höchste Priorität, und die Kirche habe sich gefälligst in Sorge um ihn abzumühen. Und das besonders Traurige daran ist, daß diese Denkweise inzwischen Gedankengut vieler “kirchlicher” Verantwortlichen geworden ist, die ihr in der Regel auch noch in der Praxis aktiv Vorschub leisten. Wie sind denn sonst die “Reformen” und die “Modernisierung” der amtskatholischen “Kirche” zu erklären, die eine beispiellose Anbiederung an die einseitig und häufig auch noch im Umfang übertrieben betonte Würde des Menschen mit sich brachten? 

Leider ist diesen Ansichten auch die besonders bei einigen sogenannten “frommen” Christen gelegentlich anzutreffende Auffassung verwandt, der Mensch sei auf Erden letztendlich (nur) dazu da, um in den Himmel zu kommen. Als letztes und ausschließliches Ziel des Menschen wird sein ewiges Heil angesehen; um dieses aber erreichen zu können, müsse man halt an Gott glauben und Seine Gebote halten. Zu bemängeln ist, daß Gott auch hier lediglich als ein wohl oder übel notwendiges Mittel zum Zweck der persönlichen Glückseligkeit, als eine Art Zwischen- und Übergangsstation auf dem Weg zum Himmel angesehen wird. Zwar ist es vollkommen richtig, daß der Glaube an Gott und das Leben nach Seinen Geboten die Voraussetzung, die Bedingung für das Erreichen des ewigen Heiles im Himmel sind. Trotzdem geht es in der authentischen christlichen Religion nicht einzig und allein um das Wohlergehen des Menschen! 

Nein, die katholische Kirche geht von einer anderen Seite an den Glauben heran. Der hl. Paulus schreibt an die Epheser: “Mir, dem geringsten von allen Heiligen, wurde die Gnade zuteil, den Heiden den unergründlichen Reichtum Christi zu verkündigen und ihnen allen zu zeigen, was die Heilsordnung ist, das Geheimnis, das von Ewigkeit her in Gott, dem Schöpfer des Alls, verborgen war. Jetzt soll den Herrschaften und Mächten im Himmel durch die Kirche die mannigfaltige Weisheit Gottes kundgemacht werden (Eph 3,8f.). Der Apostel betrachtet den “unergründlichen Reichtum Christi”, ihm geht es um “die mannigfaltige Weisheit Gottes” - er richtet sein Augenmerk hauptsächlich auf Gott! 

Ein Mensch, der nicht außer Acht läßt, daß Gott die Welt erschaffen hat und im Dasein erhält, der Seine abgrundtiefe Güte bedenkt, mit der Er den Menschen begegnete, der Seine selbstlose Liebe und sühnende Hingabe im Leiden und am Kreuz beherzigt, durch welche auch uns der Weg zu Ihm geebnet wurde, der wird nicht in egoistischer Gesinnung ständig nur den eigenen Vorteil im Blickwinkel haben. Wer sich dieser ergreifenden und allesüberragenden Herrlichkeit des heiligen Gottes besinnt, der wird auch lernen, den Blick etwas mehr von sich weg auf IHN zu lenken. Statt (länger) den Glauben zum Zweck seines eigenen Wohlergehens zu instrumentalisieren und dadurch auch zu mißbrauchen, wird ein Mensch, dem das Handeln Gottes nicht gleichgültig bleibt, Ihm seine ehrliche Aufmerksamkeit schenken und Ihn in den Mittelpunkt seiner religiösen Bemühung stellen! Das erste Gebot Gottes verlangt von uns die Liebe zu Ihm. Ist aber die Liebe nicht erst dann vorhanden, wenn der Betreffende bereit ist, auf den Liebenden einzugehen, sich auf ihn einzulassen, ihn zum Ziel seines Strebens und seiner Hingabe zu machen? Benutzt man die “Liebe”, um vorderrangig einen persönlichen Vorteil herauszuschlagen, bedient man sich ihrer, weil man sich einen privaten Profit erhofft, kann von keiner wahren Liebe gesprochen werden, ist sie nicht einmal möglich! Um wieviel mehr kann und will auch Gott letztendlich nur um Seiner selbst willen geliebt werden! 

Bezeichnenderweise haben die ersten drei Bitten des Vaterunser, das Jesus Christus die Apostel zu beten gelehrt hat, nicht uns, Menschen, sondern Gott zum Ziel: “Vater unser ... geheiligt werde Dein Name, (zu uns) komme Dein Reich1, Dein Wille geschehe ...”. Wer sich auf Ihn einläßt, der wird es nicht vernachlässigen, Seine Sache und Seine Anliegen sich ans Herz zu legen! 

Der hl. Petrus vergaß seiner selbst angesichts der Verklärung Christi auf dem Berg Tabor, als Dessen “Antlitz leuchtete wie die Sonne, und Seine Kleider glänzend wurden wie das Licht” (Mt 17,2). Neben Christus wollte er auch für Moses und Elias, die mit Ihm zusammen erschienen, Hütten bauen, an sich und an seine zwei Mitapostel dachte er dabei nicht. Angesichts der geistigen Schönheit Gottes verlieren die allzu menschlichen Wertvorstellungen an Wichtigkeit! 

So wollen auch wir in unserer alltäglichen Glaubenspraxis nicht vergessen, daß letztendlich nicht wir, sondern Gott das Zentrum und das Ziel der christlichen Religion ist! Wohl dürfen und sollen wir Ihn in unseren Anliegen angehen, Ihm unsere Sorgen vortragen und Ihn voll Inbrunst um Seine Hilfe bitten (vgl. Mt 7,7-11), denn Er allein ist die Quelle der Gnaden, ohne Seinen Beistand vermögen wir wahrlich nichts (vgl. Joh 15,5). Besitzt ja auch Er lebhaftes Interesse an unserem Heil und Wohlergehen. Wollen wir ja auch um Seiner selbst willen vermeiden, in Ungnade vor Ihm zu fallen, um Ihm dadurch etwa noch mehr Ehre zu erweisen. 

Aber gerade dies soll das Ziel eines jeden aufrichtigen Christen sein: Ihm die Ehre erweisen! Man bittet um Erlösung von diesem oder jenem Übel, um Ihm noch ungehinderter und störungsfreier dienen zu können. Deswegen darf z.B. unseren Gebeten, ja unserer gesamten Haltung Gott gegenüber das anbetende Moment nicht fehlen. Besteht ja auch das Dasein der Engel und der Heiligen im Himmel nicht im bloß passiven Genießen, in tatenloser Aufnahme der paradiesischen Freuden, sondern in der aktiven, auf Gott ausgerichteten - aber zugleich auch den Menschen selbst höchst beseligenden - Tätigkeit des Lobpreises und der Verherrlichung Gottes (vgl. Is 6,1-4)! Wie kann denn ein den Herrgott aufrichtig suchender Mensch an Seiner Liebe achtlos vorbeigehen und nicht versuchen, Ihm mit allen einem Menschen zur Verfügung stehenden Kräften eine Antwort auf diese göttliche Liebe zu geben? 

 

P. Eugen Rissling


1Sowohl der griechische Originaltext als auch die lateinische Übersetzung des Evangeliums kennt bei dieser Bitte keinen Zusatz: “... zu uns..”. Somit sollen auch wir beim Beten des Vaterunser die Betonung auf das Reich Gottes legen, das zu uns kommen soll.

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