Sind wir „ungehorsam“?


Wenn jemand eine bestimmte Behauptung aufstellt oder inhaltliche Position vertritt, dann wird von ihm berechtigterweise auch verlangt, dass er diese auch hinreichend und für jedermann einsichtig begründet. Denn ohne eine entsprechende Rechtfertigung wäre sie eine rein willkürliche Meinungsäußerung und somit von keiner weiteren Bedeutung für die Allgemeinheit, ja nicht einmal das Papier wert, auf dem sie niedergeschrieben worden ist. 

Auch wir, die wir uns heute als gläubige Katholiken gegen die verheerende dogmatische Neuausrichtung des sogenannten „2. Vatikanischen Konzils“ und der daraus resultierenden „Reformen“ zur Wehr setzen, müssen unsere Position ebenfalls inhaltlich rechtfertigen, denn vor Gott geht es ja letztendlich um nichts anderes als um die Frage nach der Wahrheit, ob etwas nämlich richtig oder falsch, gut oder schlecht, gottgewollt oder widergöttlich ist! Sonst würde man die Wahrheit bzw. Gott nicht ernst genug nehmen und mit Ihm spielen. Und dieser grundsätzlichen Frage nach der Rechtfertigung der eigenen Position wollen wir an dieser Stelle auf dem Hintergrund des gegen uns häufig erhobenen Vorwurfs nachgehen, ungehorsam den modernen „Päpsten“ und „Bischöfen, den vermeintlichen kirchlichen Autoritäten, gegenüber zu sein. Weil wir nämlich diese Personen nicht als die rechtmäßigen Nachfolger der Apostel betrachten und ihnen deshalb den sonst gebührenden kirchlichen Gehorsam aufgekündigt haben, wird uns nicht selten von einer Reihe halb-konservativer, aber vermeintlich „papsttreuer“ moderner Katholiken vorgehalten, außerhalb der katholischen Kirche zu stehen und somit einer Sekte anzugehören. 

Nun, zunächst sei bei der Erwiderung dieses Vorwurfs auf die Argumentation Jesu verwiesen, mit der Er sich gegen die schwerkalibrige Anschuldigung der Pharisäer wehrte, „die Teufel nur durch Beelzebub, den Anführer der Teufel“ auszutreiben (Vgl. Mt 12,24): „Jedes Reich, das in sich uneins ist, wird verwüstet; keine Stadt, kein Haus, das in sich uneins ist, kann Bestand haben. (Wenn Satan den Satan austreibt, so ist er mit sich selbst uneins: wie soll dann sein Reich Bestand haben? [...] Wenn Ich aber die Teufel durch den Geist Gottes austreibe, so ist das Reich Gottes doch zu euch gekommen)“ (Mt 12,25-28). „Wenn ein Reich in sich uneins ist, so kann ein solches Reich keinen Bestand haben“ (Mk 3,24)! Auf unseren Fall hier übertragen, bedeutet diese grundsätzliche Regel Jesu, dass auch die katholische Kirche - sowohl als Seine Stiftung als auch als eine Gemeinschaft der Gläubigen - niemals im Widerspruch zu sich selbst stehen kann, was sowohl ihr eigenes Wesen als auch ihre zentralen Glaubensaussagen als auch den von Christus erhaltenen Missionsauftrag angeht! 

Würde sie sich also zu irgendeinem Zeitpunkt entweder selbst anders definieren als zuvor, d.h. entscheidend unterscheidend, oder würde sie im Widerspruch zum überlieferten Glaubensgut stehende Glaubensaussagen neu einführen (geschweige denn durch das kirchliche Lehramt bereits verurteilte Lehren übernehmen), würde sie sich im Sinne der obigen Regel offenkundig widersprechen, in einen prinzipiellen Widerspruch zu sich selbst treten. Und daraus würde sich dann auch jene Konsequenz ergeben, die Christus im obigen Zitat des Matthäus- und Markusevangeliums angedeutet hatte! 

Und welches Bild ergibt sich, wenn wir die Entwicklungen in der offiziellen Amtskirche nach dem Tod von Papst Pius XII. überblicken? Zunächst wurde eine neue, mit dem Protestantismus stark liebäugelnde Interpretation der Liturgie „entdeckt“, forciert vor allem den jüngeren Theologen präsentiert und zunehmend auch unter das Volk gebracht. 

Allein dabei blieb es aber nicht - darüber hinaus wurde auch noch eine neue, auf protestantischer Mahlfeierlehre aufbauende sogenannte „Eucharistiefeier“ (Messe als „Herrenmahl“, als reines Mahlgeschehen) unter aktiver Beteiligung von 6 protestantischen Theologen ausgearbeitet, wessen sich Paul VI. übrigens ausdrücklich rühmte, und verpflichtend eingeführt. Der Widerspruch dieser letztendlich auf dem Wittenberger „Reformatoren“ Martin Luther basierenden „Neuerung“ zur überlieferten katholischen hl. Messe ist daran zu ersehen, dass die Protestanten heute an dieser „erneuerten“ Messe Pauls VI. kaum etwas Grundsätzliches mehr auszusetzen haben, wobei für sie die katholische Messe und die Messtheologie von früher schon immer ein Stein des Anstoßes war. Und Luthers Ausfälle gegen das Messopfer waren äußerst hasserfüllt und unflätig! Und ein neuer, dem zweitausendjährigen Lehramt der katholischen Kirche frontal widersprechender Ökumenismus wurde von höchsten hierarchischen Stellen unter dem Mantel vermeintlicher christlicher Nächstenliebe propagiert und durchgesetzt, der auf der Suche nach der dogmatischen und kirchlichen Einheit unter Christen die wichtigste Frage, die Frage nach der Wahrheit nämlich, ignoriert und dem Irrtum ein Existenzrecht einräumt (vgl. zum letzten Punkt die Ausführungen „Zur Frage der Religionsfreiheit“ in „Beiträge“/8/9)! 

Dagegen wusste sich die katholische Kirche zuvor vehement zu wehren (z.B. Pius IX.: Quanta Cura und Syllabus; Pius XI.: Mortalium Animos; Pius XII.: Ecclesia Catholica), da dadurch in der Folge sowohl Jesus Christus Seiner wahren Sohnschaft Gottes als auch das Christentum seines alleinseligmachenden Charakters beraubt, und der christliche Glaube letztendlich zu einer x-beliebigen Religion degradiert wird. Und auf der anderen Seite erfreuen sich heute die nicht-christlichen Religionen plötzlich der Erhebung in den Rang ordentlicher Wege zu Gott, gehen ja die festen religiösen Überzeugungen der Bekenner nichtchristlicher Religionen nach Johannes Paul II. aus dem Heiligen Geist hervor (Enzyklika Redemptor hominis), und wird ja in ihnen als solchen laut seiner wiederholten Bekundungen und Beteuerungen der eine wahre Gott angebetet und verehrt. Und um die gewaltige Tragweite dieser Irrtümer zu beleuchten, sei darauf verwiesen, dass diese nicht als Häresien, als teilweise Ablehnung der von Christus geoffenbarten Wahrheiten, zu charakterisieren sind, sondern eindeutig als eine Apostasie, als ein ganzheitlicher Abfall vom christlichen Glauben! 

Allein diese kurze Auflistung, die fast beliebig fortgesetzt werden kann, lässt erahnen, welche gewaltige Dimensionen die modernistischen Neuerungen, der sog. „Neuaufbruch“, seit der „Päpste“ Johannes XXIII. und Paul VI. angenommen haben. Und nur ein naiver bzw. blinder Beobachter der Szene erkennt nicht (bzw. tut so, als würde er nicht erkennen), dass der modernistische Glaube (oder besser: Unglaube) im krassen Widerspruch zum überlieferten Glauben der katholischen Kirche steht. Beides kann nämlich gleichzeitig nicht Geltung besitzen - der überlieferte kirchliche Glaube von früher und die modernistische Lehre von heute. Die Vertreter, Verfechter und Förderer der momentanen vom Modernismus verseuchten offiziellen „Kirche“ sind somit im obigen Sinne Christi „in sich uneins“, weil sie nämlich nicht in der liturgischen und dogmatischen Kontinuität der katholischen Kirche stehen! 

Die Konsequenz daraus besteht nach den allgemeingültigen Gesetzen der Logik darin, dass nur eine dieser beiden einander widersprechenden Lehren richtig und wahr sein kann, und die andere dann eben als falsch zu bewerten und somit auch aus Liebe zu Jesus Christus und zu Seiner göttlichen Wahrheit mit aller gebotenen Entschiedenheit abzulehnen, zu verwerfen und zurückzuweisen ist. Man darf sich nämlich nicht der ziemlich bequemen Illusion hingeben, der heute leider viele der Katholiken erliegen, als ob es möglich wäre, beiden dogmatischen Ansichten eine Art Daseinsberechtigung zuzubilligen, beide wenigstens teilweise miteinander in Einklang zu bringen. Was sich nämlich fundamental widerspricht, ist nicht miteinander kompatibel, um mal in der modernen Computersprache zu sprechen! 

Wenn also der Kirche erst seit dem „aggiornamento“ der Jahre nach 1958 und dem daraus resultierenden Vatikanum II. das wahre Licht aufgegangen sein soll, wie es seit damals viele der sogenannten Progressisten wissen wollten, dann wäre sie erst in der allerjüngsten Vergangenheit vom Heiligen Geist erleuchtet, dann wäre Er ihr erst vor einigen Jahrzehnten gesandt worden, der sie ja als der „Geist der Wahrheit“ nach der Verheißung Christi „in alle Wahrheit“ einführen sollte (vgl. Joh 16,13). Wohl kaum zufällig hat das Schlagwort vom „Zweiten Pfingsten“ in den 60-er und 70-er Jahren große Runde unter den besonders enthusiastischen „Fortschrittlichen“ gemacht! Aber man müsste auch bedenken, welche weitere Folge sich daraus ergäben: es würde bedeuten, dass den Gläubigen in der ganzen Zeit zuvor von der Kirche etwas Verkehrtes, etwas, was nicht gottgewollt, etwas, was gottwidrig ist, verkündet wurde, und dass sie von der katholischen Kirche - mit oder ohne böse Absicht - hinter`s Licht geführt worden sind! Dann wäre die Kirche beinahe zweitausend Jahre lang gewissermaßen in „Finsternis und Todesschatten“ (vgl. Lk 1,79) gelegen, dann hätte nämlich auch Jesus Christus selbst geirrt, als Er Seinen Jüngern die Verheißung gab, Er werde bei den Gläubigen sein „alle Tage bis ans Ende der Welt“ (Mt 28,20), weil Er ja viele Jahrhunderte hindurch der Kirche (wegen ihrer vermeintlicher Irrtümer) nicht beigestanden wäre. Dann hätte Er in der Folge äußerst vermessen gehandelt, wenn nicht sogar bewusst gelogen, als Er feierlich verkündete, Ihm sei „alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden“ (Mt 28,18). Und die letzte Konsequenz, die sich daraus ergäbe, bestünde darin, dass Jesus kein eingeborener Sohn Gottes ist, d.h. keine göttliche Natur besitzt, dass Er uns somit auch nicht erlösen konnte, dass wir uns nach wie vor in Sünde und grundsätzlicher Gottesferne befinden! Warum sollte denn die ganze Tragweite des dem kirchlichen Modernismus entspringenden Widerspruchs nicht klar beim Namen genannt werden? 

 Oder dieser modernistische Ökumenismus teilt schlicht und einfach das Schicksal aller sich im Laufe der Zeit von der katholischen Kirche getrennten Gruppierungen und Sekten, die wie die heute beinahe unzähligen protestantischen Denominationen erst viel später in der Kirchengeschichte entstanden sind, wenn nicht sogar ihre Entstehung lediglich auf die jüngere Vergangenheit zurückführen können. In jedem Fall sind die heutigen „Neuerer“ nicht in der Lage, eine zweitausendjährige historische und dogmatische Kontinuität aufzuweisen und einwandfrei zu belegen. Somit stellt der mit Johannes XXIII. und dem Vatikanum II. begonnene „Modernisierungsprozess“ eindeutig sowohl einen lehramtlichen als auch einen praktischen Bruch mit der kirchlichen Tradition und dem apostolischen Glauben der katholischen Kirche dar! 

Und einen solchen Verrat an den Fundamenten des überlieferten apostolischen Glaubens kann und darf ein katholischer Christ niemals hinnehmen geschweige denn irgendwie mitmachen! Im Gegenteil, er muss alles in seiner Macht liegende unternehmen, um die Treue zum katholischen Glauben und zur katholischen Liturgie im Rahmen des ihm Möglichen sowohl selbst zu leben als auch in karitativ-missionarischer Hinsicht nach außen hin kundzutun und zu vertreten. 

Denn der wahre Gehorsam verlangt zunächst Gehorsam Christus, dem göttlichen Haupt der Kirche, gegenüber! Wer demnach die modernistischen „Reformen“ - in welchem Umfang auch immer - mitmacht, bricht - in jeweiligem Maß - leider mit Ihm und praktiziert dadurch den eigentlichen Ungehorsam, mag er sich noch so sehr auf die amtskatholischen „Päpste“ und „Bischöfe“ berufen, die ihn ja in die Irre führen. Wer aber in Treue zu Ihm und zu Seiner Kirche, der Kirche aller Jahrhunderte, steht, der kann niemals ernsthaft „ungehorsam“ sein, mag uns das heute noch so häufig, und bisweilen noch so gehässig, vorgeworfen werden. 
 

P. Eugen Rissling


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