Religionsfreiheit oder Toleranz?

  Wer die Entwicklung der Priesterbruderschaft St. Pius X. mitverfolgt hat, ganz besonders was ihre momentan laufenden Gespräche mit Rom angeht, wird mitbekommen haben, dass einer der Punkte, über die die Vertreter der Bruderschaft sprechen wollen, das Thema der Religionsfreiheit betrifft. Denn in den Konzilstexten des Zweiten Vatikanums, genauer gesagt in der Erklärung „Dignitatis humanae“, werde, so wird gesagt, eine Lehre über die Religionsfreiheit vertreten, die nicht der katholischen Tradition entspreche.
Wenn man den Begriff „Religionsfreiheit“ hört oder eventuell sogar Religionsfreiheit erklärt bekommen hat mit „man darf in religiösen Dingen keinen Zwang ausüben“, wird man sich fragen, ob denn eine so verstandene Religionsfreiheit wirklich zu verwerfen sei. Stellt sie nicht vielleicht doch einfach das dar, was von der katholischen Kirche schon immer als Toleranz gelehrt und praktiziert wurde?
Der folgende Artikel soll ein wenig Licht auf dieses Problem werfen. Anhand von Zitaten aus Dignitatis humanae zeigen wir zunächst, was das Zweite Vatikanum unter Religionsfreiheit versteht. Anschließend vergleichen wir das Ergebnis dieser Untersuchung mit der Lehre der katholischen Kirche vor dem Konzil, indem wir hören, was Pius XII. in einer Ansprache an den Verband der katholischen Juristen Italiens 1953 zum Thema Toleranz sagt.
● Was lehrt also Dignitatis humanae?1 Eine Art Zusammenfassung des Konzilstextes bildet schon die Überschrift, die lautet: „Das Recht der Person und der Gemeinschaften auf gesellschaftliche und bürgerliche Freiheit im religiösen Bereich“. Es soll hier also ein Recht des Menschen als einzelner oder als Gemeinschaft erklärt werden. Das ist wichtig zu beachten, dass hier von einem Recht gesprochen wird – einem Recht auf Freiheit im religiösen Bereich. Dasselbe wiederholt die Erklärung weiter unten (I.2.), wenn sie sagt: „Diese Vatikanische Synode erklärt, dass die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat.“ Auch hier ist also die Rede von einem Recht der menschlichen Person als solcher. So heißt es im selben Absatz „(ü)berdies erklärt sie (die Vatikanische Synode – Anm.), dass das Recht auf religiöse Freiheit wahrhaft in der Würde der menschlichen Person selbst gegründet ist“.
● Und was bedeutet Freiheit im religiösen Bereich, oder religiöse Freiheit? Das Konzil sagt: „Diese Freiheit besteht darin, dass alle Menschen frei sein müssen von Zwang von Seiten sowohl Einzelner als auch gesellschaftlicher Gruppen und jedweder menschlichen Macht, und zwar so, dass im religiösen Bereich weder jemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu handeln, noch daran gehindert wird, privat und öffentlich, entweder allein oder mit anderen verbunden, innerhalb der gebührenden Grenzen nach seinem Gewissen zu handeln.“ Diese Definition mag auf den ersten Blick korrekt erscheinen, ganz besonders da es richtig ist, dass niemand gezwungen werden darf, gegen sein Gewissen zu handeln. Problematisch ist dagegen der zweite Teil, der mit anderen Worten nichts anderes sagt als: niemand darf gehindert werden, allein oder als Gruppe privat oder öffentlich zu tun, was ihm sein Gewissen gebietet. Und das ist sein „Recht“. Er hat also ein Recht, ungehindert seinem Gewissen zu folgen. Die einzige ihm gesetzte Grenze ist, dass er sich „innerhalb der gebührenden Grenzen“ bewegt. Diese gebührenden Grenzen werden an anderer Stelle etwas genauer bezeichnet: „und ihre Ausübung darf nicht behindert werden, solange nur die gerechte öffentliche Ordnung gewährt wird“. Die gebührenden Grenzen sind also die gerechte öffentliche Ordnung - ein sehr dehnbarer Begriff, u.a. weil sie nicht an einem absoluten Wert wie z.B. der Gerechtigkeit festgemacht wird.
● Um sich die Tragweite des Gesagten zu verdeutlichen, führe man sich einmal folgendes vor Augen: Nach der Meinung des Konzils dürfte nichts dagegen unternommen werden, wenn Muslime auch in einem Land mit überwiegend christlicher Bevölkerung ihre Religion sogar öffentlich praktizieren – denn der Mensch hat ja laut dem Konzil ein Recht, selbst die Irrlehre öffentlich zu vertreten. Es dürfte also auch z.B. gegen den Bau von Moscheen nicht eingeschritten werden – solange die gerechte öffentliche Ordnung nicht gestört ist. Aber wer legt fest, wann die öffentliche Ordnung gestört ist? Ist sie dann gestört, wenn ein absolutes übernatürliches Recht, das Recht der Wahrheit, verletzt ist? Oder ist sie gestört, wenn sich die Mehrheit der Bevölkerung an dem Verhalten der betreffenden Person stört? Im letzten Fall hinge die öffentliche Ordnung und damit die Grenze der “religiösen Freiheit” davon ab, welche Überzeugung die Mehrheit der Gesellschaft hat und was dementsprechend von dieser Mehrheit als störend empfunden wird.
● Um schon hier zu zeigen, dass es sich bei der Diskussion um die Religionsfreiheit nicht nur um theologische Haarspalterei handelt, sei folgendes Beispiel angeführt. Es zeigt außerdem, dass in der Praxis die Erklärung der Religionsfreiheit auch Konsequenzen auf Bereiche hatte, die man nicht mehr unbedingt als “religiöse Bereiche” bezeichnen würde, da es sich nicht um religiöse Bekenntnisse im Strengen Sinne handelt, sondern um Moral.
Im Gefolge des Konzils musste in Spanien das Konkordat mit dem Vatikan modifiziert werden, sodass es nun heißt: “Das Bekenntnis und die Praxis der katholischen Religion, die die des spanischen Staates ist, erfreut sich öffentlichen Schutzes. Der Staat garantiert die Wahrung der Religionsfreiheit durch gesetzliche Maßnahmen, die die Moral und öffentliche Ordnung aufrecht erhalten sollen.”
Die Folge dieser Änderung war, dass von da an jede Sekte in Spanien berechtigt war, öffentlich zu werben. Und mit der Verbreitung aller möglicher Meinungen und Glaubensrichtungen war in Spanien am Ende selbst Pornographie, Schwangerschaftsverhütung, Scheidung, Homosexualität und Abtreibung erlaubt. 2
Die Religionsfreiheit bedeutet also eigentlich, dass Irrtum, Unrecht, Unwahrheit – in letzter Konsequenz das Böse – ein Recht habe, sich unter den Menschen ungestört zu manifestieren und auszubreiten. Damit wird aber dem Irrtum, dem Unrecht und der Unwahrheit ein Recht zugesprochen, das allein das Rechte, die eine Wahrheit – das Gute – hat!
In ähnlicher Deutlichkeit sagt dies Dignitatis humanae selber:
“Gemäß ihrer Würde werden alle Menschen, weil sie Personen sind, d.h. mit Vernunft und freiem Willen begabt und daher durch persönliche Verantwortung erhöht, durch ihre eigene Natur gedrängt sowie durch eine moralische Verpflichtung gehalten, die Wahrheit zu suchen, vor allem jene, welche die Religion betrifft. Sie sind auch gehalten, der erkannten Wahrheit anzuhangen und ihr ganzes Leben gemäß den Erfordernissen der Wahrheit zu ordnen. Dieser Verpflichtung aber können die Menschen auf die ihrer eigenen Natur entsprechende Weise nicht Genüge tun, wenn sie nicht psychologische Freiheit und zugleich Freisein von äußerem Zwang genießen. Also gründet das Recht auf religiöse Freiheit nicht in einer subjektiven Verfassung der Person, sondern in ihrer Natur selbst. Deshalb dauert das Recht auf dieses Freisein auch in denjenigen fort, die der Verpflichtung, die Wahrheit zu suchen und ihr anzuhangen, nicht Genüge tun 3; und ihre Ausübung darf nicht behindert werden, solange nur die gerechte öffentliche Ordnung gewahrt wird.”
● Dadurch, dass das Konzil das Recht auf Handlungsfreiheit in der menschlichen Person verankert sieht, genießt die menschliche Person immer Handlungsfreiheit, unabhängig von dem, was sie tut. Die Handlungsfreiheit hängt dann nicht, um die Worte des Konzils zu gebrauchen, von der subjektiven Verfassung der Person, also von dem, wozu sie sich in ihrem freien Willen entscheidet, ab, sondern ist unverlierbar mit der Person als solcher verknüpft. Dass das Unfug ist, kann sehr leicht an der Konsequenz gesehen werden, die auch das Konzil selber ganz unverblümt zieht: auch die, die der Verpflichtung, der Wahrheit anzuhangen, nicht Genüge tun, also mit anderen Worten der Wahrheit nicht anhangen, dürfen in ihrer Praxis nicht behindert werden. Nochmals mit anderen Worten: auch die, die das Unrecht tun, darf man bei ihrem Tun nicht behindern – solange natürlich die öffentliche Ordnung nicht gestört wird.
● Überhaupt scheint nach der Konzilserklärung die Störung der öffentlichen Ordnung das einzige abzuwehrende Übel zu sein. Um es deutlich zu machen: Wenn jemand schwarze Magie praktiziert und verbreitet, fällt er auf jeden Fall in den “religiösen Bereich”, in dem er nach dem Konzil Freiheit beanspruchen kann. Dieser Tatbestand scheint aber wie gesagt für das Konzil noch kein Übel zu sein, da er ja sogar ein Recht auf ungestörtes Fortbestehen hat. Ein Übel scheint erst dann aufzutreten, wenn die öffentliche Ordnung gestört ist – wann auch immer das der Fall ist. Auf jeden Fall ist die öffentliche Ordnung, wenn das Konzil hier von ihr im Gegensatz zur absoluten Wahrheit spricht, ein Begriff, der der Zeit unterworfen ist – abhängig von den öffentlichen Gesetzen der jeweiligen Zeit. Ein vernünftiger Mensch hätte dagegen ja schon Gewissensbisse, wenn er satanistische Praktiken tolerieren würde – über den Begriff der Toleranz sprechen wir noch weiter unten – geschweige denn, wenn er solchen irgendein Recht zuschreiben wollte. Er hätte Gewissensbisse, weil zwar unter Umständen die öffentliche Ordnung nicht unbedingt gestört wäre, aber Seelen Gefahr laufen, in die Irre geführt zu werden oder verloren zu gehen.
Hexen oder Satanisten hätten also ein Recht, sich im Internet unbehelligt darzustellen und für den eigenen „Glauben“ zu werben, solange sie die öffentliche Ordnung nicht stören – was ohnehin kaum der Fall ist, da sie ja in der Öffentlichkeit nicht sehr in Erscheinung treten.
Dagegen macht Dignitatis humanae denen, die gegen das Unrecht einschreiten, sogar noch Vorwürfe, denn “(e)s geschieht (...) der menschlichen Person und der von Gott den Menschen festgesetzten Ordnung selbst Unrecht, wenn dem Menschen die freie Religionsausübung in der Gesellschaft – unter Wahrung der gerechten öffentlichen Ordnung – verweigert wird”.
Zur Problematik, die das Kriterium der öffentlichen Ordnung mit sich bringt, sei hier noch kurz ein Blick auf das Volksbegehren geworfen, das kürzlich in der Schweiz stattgefunden und auch außerhalb der Schweiz hohe Wellen geschlagen hat. Wie wir wissen, hat sich in diesem Volksbegehren die Mehrheit der Bevölkerung gegen den Bau von Minaretten ausgesprochen. Und obwohl Dignitatis humanae die öffentliche Ordnung zum obersten Orientierungspunkt erwählt, hat der Vatikan ausdrücklich Kritik am betreffenden Votum der Schweizer Bevölkerung geäußert. Auf diese Weise offenbart er sowohl, wie leicht das Prinzip der „öffentlichen Ordnung“ - etwa aus politischen oder opportunistischen Gründen - ausgehebelt werden kann, als auch, wie relativ dieses Prinzip selbst ist!
Wie im obigen Zitat schon erwähnt, genießt der Mensch die religiöse Freiheit sowohl als Einzelner als auch in der Gruppe. Das wird später nochmals eigens hervorgehoben:
“Die Freiheit bzw. das Freisein von Zwang im religiösen Bereich, das den einzelnen Personen zusteht, ist ihnen auch dann zuzuerkennen, wenn sie in Gemeinschaft handeln. (...) Deshalb wird diesen Gemeinschaften, sofern nur die gerechten Erfordernisse der öffentlichen Ordnung nicht verletzt werden, zu Recht der Freiraum geschuldet, dass sie sich gemäß ihren eigenen Normen leiten, die höchste Gottheit in öffentlichem Kult verehren, ihren Gliedern bei der Ausübung ihres religiösen Lebens helfen, sie durch Belehrung unterstützen und jene Einrichtungen fördern, in denen die Glieder zusammenarbeiten, um das eigene Leben gemäß ihren religiösen Grundsätzen zu ordnen.”
Von welcher höchsten Gottheit spricht das Konzil hier eigentlich? Ja wohl nicht von dem einen wahren Gott, sondern von den Gottheiten, die in den verschiedenen Religionen als die höchsten verehrt werden! Es heißt also nicht mehr: “Ich bin der Herr dein Gott, du sollst keine anderen Götter neben mir haben”, sondern “Ihr habt ein Recht, in öffentlichem Kult jeder seine höchste Gottheit zu verehren”!
● Interessant ist noch, wie das Konzil meint, seine Lehre über die Religionsfreiheit mit Stellen aus der Offenbarung zu belegen.
Unter anderem bringt es das Gleichnis vom Unkraut. Wie wir wissen, befiehlt der Hausherr seinen Knechten, das Unkraut zusammen mit dem Weizen bis zur Ernte wachsen zu lassen, weil sie sonst unter Umständen den Weizen mit dem Unkraut herausreißen würden. Aus dieser Haltung des Hausherrn folgert das Konzil – wohl weil das Unkraut in seinen Augen nicht mehr wirklich Unkraut ist -, dass das Unkraut ein Recht auf Dasein hat. Ist aber die Haltung des Hausherrn nicht vielmehr die der Toleranz? Interessanterweise gebraucht z.B. Pius XII. genau diese Parabel vom Unkraut, um die christliche Toleranz zu erklären – wie wir weiter unten sehen werden.
● Hören wir nun Pius XII. Wie eingangs schon gesagt, liegt den folgenden Zitaten eine Ansprache an den Verband der katholischen Juristen Italiens von 1953 zugrunde4. Die Ansprache dreht sich um die Thematik der modernen Staatengemeinschaft und behandelt dazu das Verhältnis der Einzelstaaten zu den anderen Staaten und zur Staatengemeinschaft. Als besonderes Problem wird die Frage der religiösen Toleranz innerhalb einer solchen Gemeinschaft souveräner Staaten angesprochen, die Frage also, wie man sich gegenüber Andersgläubigen oder solchen, die eine unchristliche Moral vertreten, verhalten soll.
Bei der Beantwortung dieser Frage sagt Pius XII. zunächst, dass eindeutig festgehalten werden muss, dass “keine menschliche Autorität, kein Staat, keine Staatengemeinschaft, welchen religiösen Charakter sie auch immer haben mögen, (...) einen positiven Befehl oder eine positive Ermächtigung erteilen (können), etwas zu lehren oder zu tun, was der religiösen Wahrheit oder dem sittlich Guten widerspräche. Ein Befehl oder eine Ermächtigung dieser Art hätte keine verpflichtende Kraft und bliebe unwirksam. Keine Autorität kann sie geben, denn es ist gegen die Natur, den Geist und den Willen des Menschen zum Bösen und zum Irrtum zu verpflichten oder beides als gleichgültig zu betrachten. Nicht einmal Gott könnte einen solchen positiven Befehl oder eine solche positive Ermächtigung geben, da sie im Widerspruch zu seiner absoluten Wahrhaftigkeit und Heiligkeit stünden.”
Niemand kann also jemand dazu ermächtigen, etwas zu lehren oder zu tun, was der religiösen Wahrheit oder dem sittlich Guten widerspräche. Gerade das tut aber Dignitatis humanae, wenn sie den Menschen das Recht zuspricht, der Wahrheit widersprechende Lehren zu lehren und zu praktizieren.
● Wie soll man sich aber nach Pius XII. Andersgläubigen gegenüber verhalten? “Die Realität zeigt, dass sich Irrtum und Sünde weithin auf der Erde finden. Gott verwirft sie; doch Er lässt sie bestehen. Daher kann der Satz: die religiöse und sittliche Verirrung muss immer, wenn es möglich ist, verhindert werden, da es an sich unmoralisch ist, sie zu dulden, nicht in absoluter Unbedingtheit gelten. Andererseits hat Gott auch der menschlichen Autorität kein solches uneingeschränktes und allgemeines Gebot gegeben, weder im Bereich des Glaubens noch in dem der Moral. Ein solches Gebot kennt weder die allgemeine Überzeugung der Menschen, noch das christliche Gewissen, noch die Quelle der Offenbarung, noch die Praxis der Kirche.”
Man verstehe den Papst hier bitte nicht falsch, wenn er sagt, es könne nicht in absoluter Unbedingtheit gelten, dass religiöse und sittliche Verirrung immer, wenn möglich, verhindert werden müsse. Er will nicht eine Situationsethik lehren oder die Wahrheit in ihrem Absolutheitsanspruch relativieren. Er setzt ja im Prinzip eine Verpflichtung voraus, gegen religiösen Irrtum und Sünde einzuschreiten. Allerdings gibt es Umstände, unter denen Irrtum und Sünde toleriert werden dürfen – wenn es nämlich gilt, ein höheres Gut zu verwirklichen. “(Der Staatsmann) wird sich bei seiner Entscheidung (für oder gegen Toleranz – Anm.) von dem Vergleich der schädlichen Folgen, die sich aus der Toleranz ergeben, mit den schädlichen Folgen, die durch Annahme der Toleranzformel der Staatengemeinschaft erspart bleiben, leiten lassen, d.h. also von dem Gut, das sich bei einer weisen Voraussicht für die Gemeinschaft als solche und indirekt auch für den Mitgliedstaat davon erwarten lässt.” . Um die Lehre von der Toleranz zu untermauern, weist Pius XII. hier – wie oben schon angedeutet – auf das Gleichnis vom Unkraut hin. Auch Christus hat gesagt, man solle das Unkraut auf dem Acker der Welt zusammen mit dem guten Samen wachsen lassen - wegen des Getreides. Er kommt daher zu dem Schluss: “(d)ie Pflicht, sittliche und religiöse Verirrungen zu unterdrücken, kann also keine letzte Norm des Handelns sein. Sie muss höheren und allgemeineren Normen untergeordnet werden, die unter gewissen Verhältnissen erlauben, ja es vielleicht als den besseren Teil erscheinen lassen, den Irrtum nicht zu verhindern, um ein höheres Gut zu verwirklichen.”
● “Damit sind die beiden Prinzipien geklärt, von denen in den konkreten Fällen die Antwort auf die bedeutungsvolle Frage der Haltung des katholischen Juristen, Staatsmannes und souveränen Staates zu einer für die Staatengemeinschaft in Erwägung kommende religiös-sittlichen Toleranzformel des oben angeführten Inhalts abzuleiten ist. 1. Was nicht der Wahrheit und dem Sittengesetz entspricht, hat objektiv kein Recht auf Dasein, Propaganda und Aktion. 2. Nicht durch staatliche Gesetze und Zwangsmaßnahmen einzugreifen, kann trotzdem im Interesse eines höheren und umfassenderen Gutes gerechtfertigt sein.”
Man beachte hier noch einmal den Gegensatz zu Dignitatis humanae. Dort wird denen, die der “Wahrheit nicht anhangen”, ein Recht auf Dasein und freie Verbreitung zugesprochen. Hier wird gesagt, dass, was nicht der Wahrheit und dem Sittengesetz entspricht, objektiv kein Recht auf Dasein, Propaganda und Aktion hat. Trotzdem gibt es Fälle, in denen um eines höheren Gutes Willen Duldung des Übels erlaubt ist. Nirgendwo aber erwähnt Pius XII. die Anerkennung oder das Lob nichtchristlicher Religionen oder nichtkatholischer Gemeinschaften – das würde ihm (im Unterschied zu den postkonziliaren „Päpsten“) nicht einmal im Traum einfallen!
● Schön stellt Pius XII. auch die positive Seite der Thematik dar. Denn die Wahrheit verpflichtet uns nicht nur, Verstöße gegen sie zu verhindern, sie verpflichtet uns auch, sie zu verbreiten, zu verkünden und zu lehren. “(D)ie Kirche stand und steht mit ihrer Sendung Menschen und Völkern mit einer großartigen Kultur und anderen mit einer kaum vorstellbaren Primitivität und allen möglichen Zwischenstufen gegenüber. Da ist die Verschiedenheit der Rassen, Sprachen, Philosophien, religiösen Bekenntnisse, Hoffnungen und nationalen Sonderheiten (...) da sind Völker, die niemals zur Kirche gehört, und Völker, die sich von der Gemeinschaft mit ihr gelöst haben. Die Kirche muss unter ihnen und mit ihnen leben; sie kann sich nie jemandem gegenüber als 'uninteressiert' erklären. Der Auftrag, den sie von ihrem göttlichen Stifter erhalten hat, macht es ihr unmöglich, sich an das Gesetz des 'Laufen- und Machenlassens' zu halten. Sie hat die Aufgabe, zu lehren und zu erziehen mit der ganzen Unbeugsamkeit des Wahren und des Guten, und mit dieser absoluten Verpflichtung muss sie unter Menschen und Gemeinschaften stehen und wirken, die vollkommen anders denken.”
● Und noch einmal kehrt Pius XII. zu seinen zwei oben erwähnten Prinzipien zurück: “Doch wir wollen zu den beiden oben genannten Prinzipien zurückkehren und in erster Linie zu dem der unbedingten Ablehnung von allem, was religiös falsch und sittlich schlecht ist. Diesem Punkt gegenüber gab und gibt es in der Kirche keinerlei Schwanken, keinerlei Paktieren, weder in der Theorie noch in der Praxis. Ihre Haltung hat sich im Laufe der Geschichte nicht geändert und kann sich auch nicht ändern, wo und wann immer sie in den verschiedensten Formen vor die Entscheidung gestellt wird, entweder den Götzen Weihrauch zu streuen oder für Christus das Leben hinzugeben. (...) Was das zweite Prinzip betrifft, nämlich die Toleranz unter bestimmten Umständen, die Duldung auch in Fällen, wo man zur Unterdrückung schreiten könnte, so hat sich die Kirche – schon aus Rücksichtnahme auf diejenigen, die in gutem Glauben (...) anderer Meinung sind – veranlasst gesehen, sich tolerant zu verhalten, und hat dies auch getan, nachdem sie unter Konstantin dem Großen und den anderen christlichen Kaisern Staatskirche geworden war, immer um höherer und wichtigerer Ziele willen; (...) In solchen Einzelfällen ist die Haltung der Kirche vom Schutz und von der Rücksichtnahme auf (...) das Gemeinwohl der Kirche und des Staates in den verschiedenen Staaten einerseits und andererseits das Gemeinwohl der universalen Kirche des Reiches Gottes auf der ganzen Erde, bestimmt.”
● Wir hoffen, die vorausgegangenen Ausführungen konnten etwas deutlicher werden lassen, dass die Lehre des Vatikanum II, die ja die Lehre der modernen Kirche ist, nicht mit der traditionellen Lehre der katholischen Kirche übereinstimmt. Selbst liberalen Kardinälen, Bischöfen und Theologen, die auf dem Konzil für die neuen Lehren von Dignitatis Humanae eintraten, war es nicht möglich, diese mit den Lehren früherer Päpste zu vereinbaren5. Außerdem ist hoffentlich deutlich geworden, wie gefährlich diese neue Lehre ist, da sie Wahrheit und Irrtum, Recht und Unrecht auf eine Stufe stellt und ihnen gleiches Recht zuspricht. Bedenken wir auch, dass sich Ratzinger als Papst des Konzils bezeichnet hat und dass er nach seinen eigenen Worten nicht vor das Konzil zurückgehen will. Folglich identifiziert er sich mit dem, was auf dem Konzil gelehrt wurde. Was bedeutet das aber für seine Stellung in der wahren Kirche Christi, da ihm doch die angesprochenen Probleme bewusst sein müssen? Eine wirkliche kirchliche Autorität, ein legitimer Stellvertreter Christi kann eine solche Lehre niemals gutheißen, sich niemals mit ihr identifizieren!

P. Johannes Heyne

1 Die folgenden Zitate sind genommen aus: Peter Hünermann (Hrsg.), Die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils, Herder 2009

2 aus: “The doctrinal errors of Dignitatis Humanae” von Bf. Pivarunas, ersch. auf der Website der CMRI www.cmri.org

3 sämtliche Hervorhebungen sind durch den Verfasser dieses Artikels

4 Erschienen in: Arthur-Fridolin Utz / Joseph-Fulko Groner (Hrsg.), Aufbau und Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens – Soziale Summe Pius' XII., Bd. 2, 1954, S. 2042ff.

5 aus: “The doctrinal errors of Dignitatis Humanae” von Bf. Pivarunas, ersch. auf der Website der CMRI www.cmri.org


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