Demokratie - wirklich in allem ein Segen?


Vor einigen Monaten war in den Radionachrichten von der Entscheidung eines italienischen Gerichts zu hören, wonach es seit dem vergangenen Sommer in Italien gesetzlich erlaubt ist, sich im Straßenverkehr gegenseitig zu beschimpfen. Wer also in Italien seit Mitte Juni 2002 andere Verkehrsteilnehmer mit Schimpfnamen bewirft, der braucht keine Furcht mehr vor einer eventuellen Klage wegen Beleidigung zu besitzen, er handelt nach dem weltlichen italienischen Recht nicht mehr gegen das Gesetz. 

Die meisten der Nordeuropäer werden wohl beim Hören bzw. beim Vernehmen dieses Gerichtsurteils zunächst wahrscheinlich schmunzeln und für sich im Stillen denken, so eine seltsame Gerichtsentscheidung könne eigentlich nur in Italien bzw. in den südlichen Ländern getroffen werden. 

Aber die ganze Sache birgt in sich noch einen anderen, viel ernsthafteren Kern als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Sie betrifft uns nicht nur insofern, dass man im Falle eines Falles kein Rechtsmittel mehr in der Hand hat, sich gegen Beschimpfungen und Beleidigungen zur Wehr zu setzen, wenn man in Italien im Auto sitzt. Äußerst nachdenklich muss uns die juristische Begründung des Urteils durch den vorsitzenden Richter stimmen, da sie in gewissem Sinn als eine Widerspiegelung der gegenwärtigen Denkweise und Verhältnisse in unserer westlichen Welt aufgefasst werden kann und muss. 

Der Richter stellte zwar fest, dass das von ihm juristisch genehmigte Benehmen im Straßenverkehr, welches er persönlich zutiefst bedauere, noch immer gegen den Anstand und die guten Sitten verstießen. Aber er passe mit seinem Urteil die Gesetzgebung gewissermaßen lediglich der landläufigen Praxis seiner italienischen (und wohl nicht nur dieser) Zeitgenossen an. Seien doch die gegenseitigen Beschimpfungen ziemlich üblich geworden, würden sie ja in der Öffentlichkeit kaum bis kein Ärgernis mehr erregen, gehöre dieses aggressive Verhalten inzwischen schon zum täglichen Bild auf den Straßen (und wohl nicht nur dort). 

Und somit kommen wir zum eigentlichen Kern des Problems. Und dieses besteht in nichts anderem, als dass sich der betreffende Richter dem Druck der Masse beugt! Für ihn als Richter ist erklärterweise nicht mehr maßgebend und entscheidend, was moralisch gut und richtig ist, für seine Rechtsprechung ist nicht mehr das die einzige berechtigte Richtschnur des Denkens und des Handelns, was nach einem höheren Gesetz angestrebt und befolgt werden sollte. Nein, ausschlaggebend scheint für ihn in seiner Amtsführung einzig und allein die Meinung und das Dafürhalten der Mehrheit seiner Zeitgenossen zu sein! 

Dieses vergleichsweise harmlose (aber nicht zu verharmlosende!) Gerichtsurteil offenbart und bewertet mit seiner Begründung zur Genüge die geistigen Grundlagen unserer heutigen angeblich so fortschrittlichen westlichen „Zivilisation“, es weist - um diese Bewertung hier schon vorwegzunehmen - auf das miserable moralische Niveau hin, auf welchem sie sich befindet, und deckt schonungslos die gottwidrige Mentalität des momentan weitest verbreiteten sittlichen Liberalismus auf. 

Nachdem man sich also von überlieferten christlichen Werten abgewandt und diese sogar zum Feind der „modernen“ und „aufgeklärten“ Menschheit erklärt hatte, nachdem man Gott als die oberste sittliche Instanz sowohl für das Leben des einzelnen Menschen als auch für das geordnete Funktionieren der menschlichen Gemeinschaft verworfen und IHN somit in der Politik praktisch „abgeschafft“ hatte, ist man heute bei einem Stadium angelangt, bei welchem (vorgeblich) die Majorität des Volkes über die sittliche Qualität (!) menschlicher Entscheidungen zu befinden habe. 
Geistesgeschichtlich betrachtet bedeutet dieser Vorgang nichts anderes als das Ersetzen Gottes durch den Menschen in der Frage, wer die oberste sittliche Instanz sei! Dieser letztere, der Mensch, soll ja jetzt in vielen Bereichen das eigentliche Kriterium für die Wahrheit und Wahrheitsfindung sein, seine zahlenmäßige, demokratische Mehrheitsentscheidung soll ja letztendlich über Recht und Unrecht befinden, darüber entscheiden, was sittlich richtig und was falsch ist. 

Wenn aber beim Menschen die Bindung nach oben verloren geht, wenn er die gesunde Orientierung an dem unveränderlichen und für alle gültigen göttlichen Gebot aufgibt, dann verirrt er sich fast notwendig in den Niederungen der menschlichen Schlechtigkeit. So darf es uns heute eigentlich auch nicht wundern, wenn der menschliche Geist u. a. auch Gerichtsurteile produziert, die in bestimmten Fällen zwar die Meinung der Bevölkerungsmehrheit widerspiegeln mögen, dennoch aber nach genuinem christlichem Verständnis einen Gräuel in den Augen Gottes darstellen und somit auch von Christen alles andere als akzeptiert oder sogar gutgeheißen werden dürfen! So wurde z.B. in der Vergangenheit „im Namen des Volkes“ die christliche Ehe als die unauflösliche Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau nach und nach vernichtet. Immer leichter ist es juristisch geworden, sich scheiden zu lassen, immer „unproblematischer“ wurde die 2., 3. und jede weitere Ehe in der Gesellschaft angesehen (was auch von der Gesetzgebung abhängt), bis sie heute schon fast zum guten Ton gehört. 


Und jüngst wurde vom obersten deutschen Gericht erklärt, das Gesetz der rot-grünen Schröder-Regierung über die sogenannte eingetragene Partnerschaft homosexueller Paare sei nicht verfassungswidrig. Wenn der Gesetzesgeber als solcher die Ehe schützen will und soll, dann darf er alle eheähnlichen und an die Ehe erinnernden, aber im Geiste des Gesetzes dennoch nicht-ehelichen Verbindungen auch nicht gestatten und fördern! 

Sogar der jährlich hunderttausendfache Mord an ungeborenen Kindern im Mutterleib wird nun seitens der Politik und praktisch auch seitens der Gerichte - ebenfalls „im Namen des Volkes“ - gutgeheißen, wobei man sich nicht selten darauf beruft, dass die Abtreibung (heute offiziell: Schwangerschaftsabbruch) bei der Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr als etwas Unrechtes oder Anstößiges gilt. So weit sind also schon gekommen! 

Und was folgt morgen unter Berufung auf das (vermeintliche oder auch tatsächliche) Dafürhalten der Bevölkerungsmehrheit? Etwa die aktuellen holländischen Euthanasiegesetze, wonach Ärzte bei einem unheilbarkranken Patienten auf sein Verlangen hin das Leben aktiv beenden dürfen? Oder wird vielleicht in der Zukunft das Leben alter Menschen auch ohne ihr Einverständnis (wenn sie etwa nicht mehr ansprechbar sein sollten) ausgelöscht werden dürfen, sollte dies von der demokratischen Mehrheit „abgesegnet“ werden? Oder wird es vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft Wunsch der Masse, traditionell katholische Christen an ihrer Religionsausübung zu behindern und sie massiv zu verfolgen, weil sie sich nicht dem liberalistisch-freimaurerischen Weltbild beugen und in diesem antichristlichen System mitmachen wollen? Ist denn diese Vorstellung wirklich so utopisch? Die Demokratie gilt heute als die beste und idealste Staatsform. Sie ist in Politik und Gesellschaft geradezu zu einer Art (Ersatz-)Religion geworden.

Besonderdeutlich wird dies sichtbar in den Ländern des ehemaligen Ostblocks und in den Staaten der dritten Welt. Mag da jemand in seiner Vergangenheit noch so sehr etwa als ein kommunistischer Parteiboss oder kriegversessener Stammesfürst gewütet haben; wenn er nur rechtzeitig „die Fronten wechselt“ und sich vor allem als einen „Demokraten“ bezeichnet, wird er fast immun vor möglicher Verfolgung seitens der UNO und der sogenannten freien westlichen Welt, besonders wenn er zum politischen Verbündeten der Washingtoner Administration erklärt wird! 

Nur kann die Demokratie aus christlicher Sicht nur dann richtig funktionieren, wenn in ihr bestimmte höhere Werte und sittliche Ideale allgemein verbindlich und unantastbar sind! Wenn sich der betreffende Staat prinzipiell und unbedingt an Jesus Christus und Sein Gebot bindet, dann muss es nicht verkehrt sein, wenn in anderen, untergeordneten (etwa ökonomischen) Fragen die Meinung der Mehrheit der Bevölkerung abgefragt und danach gehandelt wird. Aber ohne diese notwendige Orientierung an Gott und an Seinem heiligen Willen kann das demokratische System, wie oben anschaulich gemacht, ziemlich in die Irre führen und im Falle des (bewussten) Missbrauchs durch bestimmte antichristliche Kräfte massiv der Gottlosigkeit und groben Unsittlichkeit Vorschub leisten. 

Zumal man sich keinesfalls der Täuschung hingeben sollte, als ginge es in der Demokratie immer und in jedem Fall um den tatsächlichen Willen der Bevölkerungsmehrheit. Unterschätzen wir auch hier nicht die Macht der Propaganda und der Verführung durch Massenmedien! Ziehen wir als Beispiel etwa die heute nicht selten anzutreffende moralische Verwilderung der noch etwas jüngeren Generation in Fragen der Geschlechtlichkeit heran. 

Zunächst wurden ja (seit der 60-er Jahren) die doch noch etwas christlicher eingestellten Bevölkerungsschichten, die wohl noch die Mehrheit bildeten, als rückständig, altmodisch, engstirnig und lebensverneinend diffamiert. Dann hat man die eigenen „Ideale“ der sogenannten „freien Liebe“ mit Hilfe von Schundblättern, von zahlreichen entsprechenden Film- und Musikproduktionen (Mode nicht zu vergessen!) unter die Leute gebracht und als „befreiend“ und „lebensbereichernd“ angepriesen. So wurde seitens bestimmter Meinungsmacher, die sich halt im Besitz der Medienorgane befinden, zuerst der Boden für weitere Schritte vorbereitet. Da aber die in ihrer Persönlichkeit noch nicht voll ausgereifte Jugend auf die Dauer nicht schadlos der stets zunehmenden Flut entsprechender Propaganda, die brutal die Schwächen der menschlichen Natur ausnutzt(e) und vor immer weniger gesunder Tabus Halt macht(e), widerstehen kann, wurde sie in der Folge praktisch zum willenlosen Opfer der ideologischen Verführung bestimmter antichristlicher Kreise. Denn auf vielfache Weise in ihrer Widerstandskraft geschwächt, verfiel die jüngere Generation dem zur gleichen Zeit begonnenen und parallel einhergehenden Prozess sittlicher Verstumpfung und Verwahrlosung anheim. 

Und in diesem Zustand lässt man sich immer mehr und immer weiter für die „Ideale“ unchristlicher Propaganda „begeistern“. So werden halt bisweilen so manche „Überzeugungen“ in der Bevölkerung geweckt, die sich dann in der Folge auch auf die Parlaments- und Gerichtsentscheidungen entsprechend auswirken! Wer die eigentliche Herrschaft über die Massenmedien ausübt, der „sorgt“ in der heutigen westlichen Demokratie nicht selten auch für die entsprechenden Mehrheiten. 


Lassen wir uns als katholische Christen also nicht anstecken von dem in der Gegenwart weit verbreiteten Denkvirus, richtig und erlaubt sei, was von der Masse akzeptiert werde, es komme alles nur auf die Mehrheitsmeinung im Volk an. Lassen wir uns nicht von den „Idealen“ der gottfernen und -verleugnenden Welt hinreißen, auch wenn sie noch so sehr verbreitet sein (und werden) sollten, und darob Gott vergessen oder auch nur ungebührlich vernachlässigen. Erliegen wir vor allem auch nicht dem folgenschweren Irrtum, Gott und die (genuine) christliche Religion hätten sowohl in unserem Leben als auch in Politik und Gesellschaft nichts verloren und zu suchen. 

Nicht das ist richtig, nicht das ist sittlich erlaubt und erstrebenswert, was populär und sozusagen „in“ ist, sondern, was göttliches Gebot und göttlicher Wille ist, was von der christlichen Offenbarungsreligion her statthaft ist. Der Mensch gestaltet selbst sein Leben: wie es verläuft, welche moralische Qualität es besitzt, hängt hauptsächlich davon ab, wovon er es abhängig macht, was für ihn bindend, was für ihn verpflichtend, was für ihn heilig ist! 

Wer auf diese Welt setzt, der wird auch die entsprechenden, letztendlich bitteren Früchte einsammeln müssen, denen er sich nicht wird entziehen können. Ist denn das folgende Wort des hl. Paulus nicht auch eine treffende Beschreibung momentan vorherrschender Verhältnisse: „So sage ich denn und beschwöre euch im Herrn: Wandelt nicht wie die Heiden, die nach ihrem verkehrten Sinn wandeln. Sie sind in ihrem Denken verfinstert und dem Leben mit Gott entfremdet; denn Unwissenheit hält sie umfangen, und ihr Herz ist verhärtet. Aller höheren Empfindung bar, sind sie der Ausschweifung ergeben und frönen jeglicher Unreinheit in unersättlicher Gier“ (Eph 4,17-19)? „Wisst ihr nicht, dass Ungerechte am Reiche Gottes keinen Anteil haben? Gebt euch keiner Täuschung hin! Unzüchtige, Götzendiener, Ehebrecher, Lüstlinge, Knabenschänder, Diebe, Habsüchtige, Trunkenbolde, Gotteslästerer, Räuber werden am Reiche Gottes keinen Anteil haben“ (1 Kor 6,9f.) 

Wer es aber mit dem Herrgott hält, der wird zwar unter Umständen viel Widerspruch erfahren und vielleicht auch der Verfolgung (welcher Art auch immer) ausgesetzt sein. Aber sein Leben wird eine richtige, positive Ausrichtung haben und vor allem mit Sinn erfüllt sein! Dieser wichtige Umstand ist nicht zu unterschätzen. Denn wer eine gesunde Orientierung besitzt, der weiß sowohl, wofür er lebt, als auch wird er daraus die bleibende innere Erfüllung erfahren. „Dann werden wir nicht mehr unmündige Kinder sein, die sich von jeder windigen Lehre, vom Trugspiel der Menschen und den Verführungskünsten des Irrwahns schaukeln und treiben lassen. Vielmehr werden wir uns an die Wahrheit halten und so in Liebe in jeder Hinsicht hineinwachsen in Ihn, der das Haupt ist: Christus“ (Eph 4,14f.)! 

 

P. Eugen Rissling


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