Die Gottesfrage

Katechesen (1981) von S.E. Dr. Günther Storck

Teil 8

Ich habe Ihnen schon einmal den Hinweis darauf gegeben, was wir denn eigentlich suchen,
wenn wir nach Gott fragen. Wir suchen einmal die Erklärung für das, was ist. Sagen wir, für das Weltall, das, was man religiös Schöpfung nennt, für die Existenz alles dessen, was auf der Erde ist, der Materie, des organischen Lebens. Aber, am Wesentlichsten natürlich: Die Frage nach der Existenz des Menschen, der Existenz des Geistes!

Ich will Ihnen gleich hier einen Hinweis geben: Die Naturwissenschaft betrachtet ja den Menschen in der Regel gar nicht als Geist. Wenn sie die Frage nach der Ursache der Entstehung der Welt stellt und zu beantworten sucht, dann sucht sie physikalische Ursachen. Man muss sich aber völlig darüber klar werden: Aus einer physikalischen Ursache, etwa einem Atom oder einer Urmaterie oder einem Nebel oder einem Urknall, wie man das immer bezeichnet, was man als erstes ansetzt, da kann keine Welt, keine Schöpfung mit dem Menschen, dem geistigen Wesen, als Zentrum entstehen.

Das sind alles unsinnige Lösungen. Aber davon möchte ich heute gar nicht sprechen. Ich möchte Ihnen hier nur schon einen Hinweis dafür geben.

Also, wir suchen eine Erklärung alles dessen, was ist. Woher kommt alles das, was ist? Aber das ist gar nicht die einzige Frage, der einzige Fragegrund, den wir zu erheben suchen, auf den wir eine Antwort suchen, wenn wir nach Gott fragen. Es gibt zwei andere Ebenen, die noch viel bedeutsamer sind, als die bloß theoretische Klärung, woher das alles kommt, was ist.

Die andere Ebene ist: Was ist der Grund dafür, dass wir mit Recht eine Erkenntnis angeben. Wo ist der Grund dafür, dass wir berechtigt sind, zu sagen, das, was wir wahrhaft erkennen, das ist auch so, wie wir es erkennen? Das ist die Frage, die natürlich vor allem die Wissenschaft beschäftigt, die aber merkwürdigerweise - vielleicht kann ich das auch einmal andeuten - in den Wissenschaften gar nicht größtmöglich gestellt und vor allem nicht gelöst wird.

Und dann eine dritte Frage, ein dritter Grund, der uns ganz wesentlich beschäftigen muss - das ist sogar der allerwesentlichste und darüber möchte ich heute sprechen -, das ist die Frage: Nehmen wir mit Recht eine Moral an? Was ist der Grund dafür, dass wir sinnvollerweise, berechtigtermaßen, in Wahrheit eben, einen sittlichen Willen, einen moralischen Willen, annehmen? Das ist die eigentliche und allerwichtigste Frageebene, die uns mit der Gottesfrage zu beschäftigen hat, das ist sozusagen das Herz dessen, was hier gesucht und gewollt wird.

Ich habe Ihnen schon einmal dieses ganz große und bedeutende Wort von Dostojewskij gesagt, dessen Bedeutung die Menschen in der Regel gar nicht erfassen: Der Mensch sucht nichts so sehr, sucht nichts so verzehrend, als etwas, was er in Wahrheit anbeten kann, wovor er in Wahrheit niederknien kann! - So sagt Dostojewskij einmal.

Man könnte auch so fragen, es ist die eigentliche Frage nach der Autorität, nach der Autorität, nicht nach der bloß beanspruchten oder nach der willkürlichen Autorität!

Sie sehen hier ist eigentlich das Zentrum der Gottesfrage! Und das hängt ganz wesentlich mit der Moral zusammen. Ich darf auch hier noch einmal einen ganz wichtigen Hinweis geben, den ich in allen Vorträgen betont habe: Sie sehen, man kann die Gottesfrage natürlich nur stellen - und vor allem: man kann sie nur wahrhaft beantworten -, wenn man die ganze Wahrheit will, wenn man die ganze Wahrheit liebt, auch und wesentlich die moralische Wahrheit! Wer die moralische Wahrheit ausschließt, der bekommt eben auch einen nicht-moralischen „Gott“! Der bekommt einen „Gott“ X, der kein Antlitz hat, den man nicht sehen kann, und vor allem einen „Gott“, den man natürlich nicht verehren kann, vor dem man nicht knien kann!

Hier ist auch das Zentrum der eigentlich religiösen Frage, zusammen mit der moralischen Frage, nämlich nach Gott und nach Seinem Anspruch, Seinem Willen, den ich erfüllen soll! Hier ist übrigens auch eigentlich der Punkt, an dem ich erkennen kann, dass ich als moralisches Wesen eben nur endlich bin, nicht unendlich. Ich bin nicht selbst Gott, ich bin nicht das Aus-Sich-Selbst, sondern ich bin ein geschöpfliches Wesen. Diese Geschöpflichkeit kann man nicht rein äußerlich, rein faktisch, oder wie ich das auch bezeichnen soll, erweisen. Natürlich bemerkt man es: Man ist krank, man ist anfällig, man ist schwach, man bemerkt: man stirbt. Das ist aber alles nicht das Herz dessen, was ich als Mensch, als Geschöpf eigentlich bin.

Das Herz, die Mitte dessen, was ich als Geschöpf bin, erfahre ich erst, wenn ich dem sittlichen Willen, dem Willen Gottes, begegne. Und dem kann ich eben nur begegnen, wenn ich die sittliche Wahrheit will. Wenn ich, religiös gesprochen, die Gebote Gottes anerkenne, und nicht nur anerkenne, sondern sie durch mein Handeln, durch mein Wollen, durch mein Leben auch akzeptiere, in meinem Leben praktiziere. Dann komme ich zu Gott, dann erkenne ich Gott, und dann habe ich auch Gemeinschaft mit Gott!

Hier, sehen Sie, ein Gedanke, der typisch katholisch ist. Wenn sie die große "Symbolik" von dem bekannten Theologen Johann Adam Möhler lesen, dann sehen sie, wie sehr er das als charakteristisch für den katholischen Glauben einschärft, im Gegensatz etwa zu Luther, dass der katholische Glaube, dass also die Religion, die wahre Religion, die Verwirklichung der Sittlichkeit wäre.

Man kann Glauben und Moral nicht trennen, sondern sie gehören zusammen! Denken sie an die zehn Gebote im Alten Bunde, denken sie an die Bergpredigt im Neuen Testament, dann sehen Sie, wie sehr Gott die Erfüllung dessen, was sittlich ist, verlangt. Und das ist gerade Sein Wille!

Wenn wir also hier fragen: Wer ist Gott?, unter diesem Aspekt, den ich genannt habe, als Grund dessen, was sittlich ist, dann können wir und müssen wir sagen: Er ist der sittliche Wille überhaupt, Er ist das Gute. Besser noch sagt man: Er ist der Gute, denn es handelt sich ja um einen Willen, nicht um eine neutrale sächliche Kraft oder ein Faktum. Hier ist der große Unterschied. Er ist Wille, Er will, dass wir das tun, was Er eben will.

Und wenn wir das tun, was ER will, dann erfahren wir auch, dass es berechtigt ist, was Er will! Und wir erfahren nicht nur, dass es berechtigt ist, sondern wir erfahren darüber hinaus, dass es gut ist auch für uns, dass wir das tun! Hier ist das Herz der moralischen und der religiösen Einstellung. Wer diese Überzeugung nicht hat, der wird auch das erste Gebot gar nicht so erfüllen und zu erfüllen suchen, wie das erste Gebot es selbst verlangt!

Überzeugt zu sein, heißt einmal, überzeugt sein von der Wahrheit dessen, was man tun soll nach dem Willen Gottes, von der Rechtmäßigkeit dessen, was man tun soll. Aber es heißt auch, zu wissen und davon überzeugt zu sein, dass es zum eigenen Besten ist! Hier kommt etwas, was für den christlichen Glauben und für die christliche Gottesvorstellung ganz charakteristisch ist: Dass man nämlich erfährt, das, was Gott will, das, was Er in Seinem Willen von mir fordert, das gereicht zu meinem Besten!

Und hier sehen wir die Begründung dafür, dass wir Gott "Vater" nennen! Der Vater ist gütig, Er will das Beste von mir! Er ist nicht böse, Er misshandelt nicht, Er ist nicht willkürlich! Die anderen Götter sind willkürlich, sie sind Götzen und sie lassen den Menschen im Stich. Gott, der wahre Gott, der lebendige Gott, lässt die Menschen nicht im Stich! Und nie im Stich, weil Er eben Vater ist, weil Er gut ist, weil Er gütig ist, weil Er die Liebe ist! Und es ist völlig klar, wenn man den sittlichen Willen, das Gute also, tut, und zwar mit ganzem Herzen, mit ganzem Willen, mit ganzer Kraft, so, wie das erste Gebot es einschärft, dann erkenne ich, dass Gott gut ist! Hier sieht man, das ermöglicht gerade diese Überzeugung, von der ich sprach.

(Fortsetzung folgt)

 

Zurück Hoch Startseite