Die Gottesfrage

Katechesen (1981) von S.E. Dr. Günther Storck


Teil 13

Wir wollen jetzt einmal noch speziell darauf eingehen, was denn überhaupt "Erkenntnis" bedeutet, und zwar Erkenntnis jetzt im Vollsinne, im wahren Sinn. Und dann werden wir nämlich erkennen, dass nur der Mensch, der wahrhaft liebt, auch im Vollsinne die Erkenntnis hat!

Was heißt im vollen Sinne erkennen? Im vollen Sinne erkennen heißt, sehen, etwas ist so, wie es sich mir offenbart. Das ist vielleicht eine etwas merkwürdige Bestimmung, die aber Ihnen gleich aufgehen wird, wenn Sie einmal sich fragen: Ist denn die Sinnenwelt, die sich mir zeigt und die sich mir aufdrängt, wahrhaft so, wie sie sich mir zeigt?

Der religiöse Mensch erfährt: Die einzige Realität, der er trauen kann, die wahrhaft so ist, untrüglich so ist, wie sie sich offenbart, ist gerade Gott, ist gerade die Liebe Gottes! Die Liebe Gottes trügt nicht, sie täuscht mich nicht, sie führt mich nicht hinters Licht! - Das ist der einzige Fall in der gesamten Realität, wo der Mensch nicht getäuscht wird!

In allen anderen Fällen, wie oft täuscht die Erinnerung mich, wie oft irrt, sagen wir, der Naturwissenschaftler, wie oft irrt ein Biologe, ein Psychologe oder ein Physiker, ein Chemiker. Sie meinen etwas - und zwar endgültig - erfasst zu haben, und dann zeigen sich neue Phänomene, neue Realitäten, die eine neue Erklärung verlangen! Denken Sie einmal daran, wie oft hat man schon gemeint in der Wissenschaft, die Erklärung für das Geheimnis der Entstehung der Welt gefunden zu haben, und dann kommt ein neuer Wissenschaftler und findet ein neues Resultat, das das erste aufhebt!

Wenn es überall mit unserem Erkennen so wäre, wie ich hier zu charakterisieren gesucht habe, dann käme der Mensch nie an ein letztes Resultat, nie an ein unerschütterliches Ergebnis, an das er sich letztendlich halten könnte! Dann wäre es natürlich auch so, dass der Mensch überhaupt gar keine Sicherheit durch sein Erkennen hätte, dann wäre auch der Glaube, der religiöse Glaube im echten Sinne, nicht möglich, im echten Sinne, das heißt, als vernünftiger, als vernunftgemäßer Glaube.

Das ist gerade wichtig für - ich darf das hier schon einmal andeuten, wir werden auch darüber noch zu sprechen haben - für den rechten Begriff der Offenbarungsreligion. Die Offenbarungsreligion, die gerade, weil es sich um Offenbarung Gottes handelt, ein vernünftiger, ein vernunftgemäßer Glaube, ein vernunftgemäßer Gehorsam dem sich offenbarenden Gott gegenüber ist! Dieser Glaube ist nicht blind, sondern sehend, erkennend. Und deshalb darf die Willkür eines Menschen, auch die Willkür einer Hierarchie, hier überhaupt keine Rolle spielen!

Ich darf noch einmal auf die Erkenntnisfrage eingehen, um Ihnen gerade das Gespür zu geben und den Einblick dafür zu erschließen, wie wesentlich hier die Gottesfrage ist! Denn nur dort, wo die Liebe Gottes sich offenbart, da kann ich sicher sein, dass die Liebe mich nicht betrügt! Da kann ich sicher sein, dass Gott in sich so ist, wie Er sich offenbart! In allen anderen Formen der Erkenntnis muss ich letztlich unsicher sein, ob das, was ich erkenne, in sich so ist, wie ich es erkenne. Deshalb muss ich immer im Zweifel sein, deshalb muss ich immer unsicher bleiben, letztlich sogar, wenn ich Gott nicht finde, die Liebe Gottes nicht erfasse, letztlich muss ich zum Skeptiker oder zum Agnostiker werden oder zum Atheisten, wie man will, weil ich ja nirgendwo Sicherheit, nirgendwo eine absolute Gewissheit finde, die mich trägt, die meine Fragen, meine Probleme, meine Nöte klärt und eine entscheidende Lösung darstellt!

Sie sehen hier, welche wesentliche Rolle die Liebe spielt, auch für das Erkennen! Und Sie sehen hier, wahrscheinlich jedenfalls können Sie es sehen, wie wesentlich es ist, wie wichtig es ist, dass ich zunächst einmal, bevor ich Wissenschaft treibe, mit mir selbst im Reinen bin, den moralischen Willen Gottes erfülle und wahrhaft zu lieben lerne! Dann ist es sinnvoll, Wissenschaft zu treiben, dann führt die Wissenschaft mich nicht weg vom Glauben, sondern noch tiefer in den Glauben hinein! Wenn ich aber nicht liebe, dann verliere ich buchstäblich jeden Halt! Und das ist ja der Fall in der Wissenschaft, so, wie sie in der modernen Zeit ausgeprägt wurde, wie sie Verbreitung findet. Hier spielt ja die Moral eben gerade keine Rolle!

Überlegen Sie noch einmal, wie wesentlich es war, wenn der heilige Bernhard, dieser große Mönchsvater, gerade im Kampf mit dem neuen Wissenschaftsideal, das auch in der Theologie eine Rolle zu spielen begann, immer wieder gesagt hat, das Entscheidende ist die Weisheit, nicht die Wissenschaft! Die Weisheit im Sinne der Liebe und der Erkenntnis der Liebe! Nicht die Wissenschaft im Sinne einer ohne Liebe, ohne die Anerkennung und die Erkenntnis Gottes vollzogenen theologischen Wissenschaft!
Im Falle Gottes sehe ich und erkenne ich: Gott ist wahrhaft und Er täuscht mich nicht! Hier kann ich sicher sein! Denken Sie wieder an den Martyrer! Welche Sicherheit muss der Martyrer haben, dass er nicht zuschanden wird, dass er von Gott nicht enttäuscht wird!

Umgekehrt darf ich auch noch sagen: je mehr ein Mensch religiös ist oder sein will, desto mehr muss sich das darin gerade zeigen, dass er alles auf eine Karte setzt! Dass er allein von Gott lebt! Dass er nicht außer oder neben Gott noch andere Werte oder andere Erfüllungen anderer Werte sucht und erstrebt und hat! Wer Gott hat, der hat alles! Und gerade wer Gott hat, hat auch die Erkenntnis, dass er alles hat!

Ich möchte noch einmal besonders einen unterscheidenden Gesichtspunkt Ihnen nennen: Wenn ich Gott erkenne, was geschieht dann?

Ich will zum Vergleich noch einmal ein anderes Beispiel Ihnen nennen: Wenn ich erkenne: 2 mal 2 ist 4, dann erkenne ich einen Sachverhalt: So ist es. Ich erkenne aber nicht, dass es in Wahrheit so ist! Und ich erkenne vor allem nicht, dass ich sicher sein kann, dass es so ist!

Je mehr ich moralisch handle, um so mehr wird die Wahrheit der Moral in mir bestätigt! Und vor allem, wenn ich wahrhaft liebe, dann werde ich von der Liebe erfasst! Die ganze Überzeugungskraft der Liebe teilt sich mir mit! Und immer wieder werde ich beschenkt! Ja, so ist es wahrhaft gut, so ist es wahrhaft sinnvoll!

Selbst wenn meine Tat der Liebe gegen eine ganze Welt sich richtet! Denken Sie wieder an den Martyrer! Der Martyrer erkennt und findet in sich eine Bestätigung durch Gott, eine Überzeugungskraft und Lebendigkeit, die der nicht-moralische Mensch gar nicht kennt, gar nicht kennen kann!

Denken wir noch einmal an das mathematische Beispiel 2 mal 2 ist 4. Ich kann moralisch, ich kann unmoralisch leben, das hat darauf keinen Einfluss, bzw. umgekehrt, die Erkenntnis hat auf meine Moral gar keinen Einfluss.

Im moralischen Erkennen, im religiösen Erkennen, im theologischen Erkennen hat die Moral aber sogar den allerwesentlichsten Einfluss! Und je mehr ich Gott erkenne, der heilige Paulus sagt es auch einmal so (1Kor. 13,12) , umso mehr werde ich von Gott erkannt! Die ganze Überzeugungskraft, die ganze Bestätigung, die ganze Sicherung der Liebe teilt sich mir mit! Und dadurch werde ich völlig fest! Dadurch bin ich letztlich in Gott gegründet!

Und hier sehen Sie, warum der wahrhaft religiöse Mensch völlig entschieden ist! Er ist nicht stur, im Gegenteil! Er ist völlig flexibel, völlig lebendig, er ist allem Wahren und Guten und Schönen letztlich erschlossen und schließt nichts aus, im Gegensatz zum Fanatiker! Aber er ist ebenso letztlich absolut fixiert, nämlich auf diese Erkenntnis Gottes! Die Wahrheit dieser Erkenntnis Gottes kommt aus Gott selbst, sie kommt nicht aus der Willkür oder aus der zufälligen Einrichtung unseres Verstandes!

Hier liegt der gewaltige Unterschied. Wenn ich Gott einsehe, wenn ich Gott erkenne, dann habe ich die wirkliche Liebe der Erkenntnis, dann habe ich wirkliche Einsicht: ich erkenne Gott so, wie Er sich zeigt! Hier ist kein Unterschied. Und deshalb kann man wirklich sagen: Wer Gott erkennt, hat teil am Erkennen Gottes selbst! Wie der heilige Matthäus, der Evangelist, auch sagt: "Niemand erkennt den Vater als der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will!" (Mt. 11,27). Er hat Anteil an der Offenbarung Gottes!

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

 

(Fortsetzung folgt)

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